Interview Angelika Schmidt

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Die Texthüterin Angelika Schmidt

Dorle Miesala-Edel  interviewte Angelika Schmidt, Souffleuse am Theater Bonn

M-E:   Keine Theateraufführung ohne Souffleuse. Aber in der Theaterliteratur findet sich nichts, was ich von der Person und ihrer Arbeit gerne wüsste. Zunächst: Wie kamst Du in den Souffleurkasten?

A.S:   Über die Unterbühne. Ich musste hinabsteigen in das Gewölbe der Theaterbühne, dahin, wo die Untermaschinerie sich befindet. Von dort ging es über eine schmale Treppe zu meinem Pult. Ich nahm Platz auf einem im Boden fest verankerten Drehstuhl und begann, mich auf die Aufführung zu konzentrieren. Durch den molltonbespannten Stoff der Muschel drangen Gesprächsfetzen der Zuschauer zu mir, begleitet vom Knistern eines Bonbonpapiers. Dann wurde es dunkel. Mit der ersten Lichtstimmung erschienen in der Regel ein paar Hosenbeine. Wenig später erklang die dazugehörige Stimme. Waren Schauspielerinnen in opulenter Garderobe auf der Bühne, streifte mich im Vorübergehen ein Lufthauch ihrer ausladenden Röcke, begleitet von einem geheimnisvollen Rascheln. Mit solch sinnlichen Eindrücken war es  etwa Mitte der 80er Jahre vorbei. Der leicht erhöhte Souffleurkasten vorne in der Bühnenmitte fing an, die Bühnenbildner zu stören. Gleichzeitig änderte sich die Ästhetik des Theaters. Ich saß fortan oft mit einem Notenpult an der Bühnenseite, verborgen hinter einem Gazevorhang oder – wie bald darauf üblich – in der ersten Reihe im Zuschauerraum, gewöhnlich neben dem Feuerwehrmann.

M-E:   Ergab sich aus einem solchem Platzwechsel eine andere Arbeitsweise für Dich?

A.S:   Ja, in der Tat. Bei den Proben ist mein Arbeitsplatz bei den Schauspielern, und dort bin ich auch unmittelbar beteiligt. Ohne den Schutzraum des Souffleurkastens  musste ich jetzt eine neue Balance finden zwischen den Anforderungen meines Berufes und den Ablenkungen, die sich aus meinem Umfeld ergaben, etwa der Störung durch den Versuch, Blicke in mein Textbuch zu werfen, um das Stück möglichst mitlesen zu können oder die Nähe eines Feuerwehmannes, welcher an der Aufführung in der Regel wenig interessiert ist. Ich bin froh, dass ich nie mit auf der Bühne sitzen musste. Dies kommt durchaus vor bei großen Textmengen, die ein Schauspieler zu bewältigen hat. Heute sagt man dazu „Textflächen“.

M-E:   Wie bist Du eigentlich zu Deinem Beruf gekommen?

A.S:   Der Souffleusen-Beruf war kein Berufswunsch, ich wusste nicht einmal, dass es diesen Beruf gibt. Mein erlernter Beruf „Verlagskauffrau“ zeichnete ein Leben in Verlagen und Werbeagenturen vor. Noch kurz vor Eintritt in die Theaterwelt fuhr ich jeden Tag zum Langenscheidt-Verlag und betreute hier den Kundenstamm der englisch- und französischsprachigen Lehrbücher für Schulen. Meine Neugier auf berufliche Veränderung führte mich dann über Freunde in die Welt des Theaters ein. Es gefiel mir, dass man sich hier direkt mit dem Menschen beschäftigt – in einer soziokulturellen Struktur zur Gesellschaft, oftmals eingebettet in eine Historie. Mir war klar: Das Theater verhieß lebenslanges Lernen in spielerischer Form. Mit Begeisterung nahm ich meine Arbeit auf und begann, Theaterliteratur zu verschlingen – damals bevorzugt im Englischen Garten, denn mein erstes Theater war das Bayerische Staatsschauspiel. Während ich hospitierte, stand ziemlich schnell fest, dass ich Souffleuse werden wollte. Ich bildete mich fort in Schauspiel-Disziplinen wie Sprechtechnik und Stimmbildung und begann parallel eine Gesangsausbildung.   aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

Bonner Theaterpreisverleihung 2017

M-E:   Worin besteht das Spezifische Deines Berufes?

A.S:   Fingerspitzengefühl. Die Souffleusen-Tätigkeit erfordert ein sich Hineinversetzen, Hineindenken in jeden Schauspieler/Schauspielerin, in jede Rolle. Wichtig ist das gedankliche Mitgehen mit jeder Figur auf der Bühne. Ich habe gelernt, mit dem Schauspieler zu atmen.

M-E:   Wie gehst Du mit Texthängern um?

A.S: Das hängt ganz von der Situation und vom Schauspieler/ Schauspielerin ab. Manchmal ist ein schnelles Text-Reingeben erforderlich, manchmal ein sekundengenaues Warten, „Soll ich?“, „Soll ich nicht?“— Eine Schauspielerin sagte mir einmal: „Ich lerne immer mehr, mich auf den Moment zu verlassen und so weiß ich oft nicht, was als nächstes kommt“. Sie möchte aber keine Hilfe von mir. In diesem Moment des „ Nichts“, in dem, wie ich vermute, das Unterbewusstsein an die Oberfläche kommt, „ weiß“ sie plötzlich wieder den Text. Sich diesem „Nichts“ vor den Augen des Zuschauers hinzugeben, erfordert viel Mut!

M-E: Hat sich das Theater für Dich verändert?

A.S: In meiner Zeit als Souffleuse fand ein Umbruch des Bewusstseins von abgebildeten Lebenssituationen in der szenischen Theaterarbeit statt. Wurde früher mit Macht, Energie und Ausschließlichkeit auf ein bestimmtes, szenisches Moment hingearbeitet, entdeckten immer mehr Regisseure und Schauspieler die Kunst des Geschehenlassens. Oftmals wurden wesentliche Drehpunkte in einem Theaterstoff gar nicht mehr in die Sprache gebracht, also nicht mehr verbalisiert, zum Teil auch wenig geprobt. Mich haben Regisseure, welche mit dem Auslassen, Weglassen, der Stille arbeiten, immer am meisten fasziniert.

M-E: Du hast so viele namhafte Theaterleute kennengelernt. An wen oder welche Begebenheit erinnerst Du Dich besonders gern?

A.S:   Wenn Du mich so fragst, erinnere ich mich besonders gern an die Rose von Ingmar Bergman. Das war 1981, bei den Proben zu „Szenen einer Ehe“ im Marstalltheater in München – inszeniert vom Autor selber. Auf seinen Wunsch hin sollte die Temperatur im Probenraum kühl sein. Gelüftet wurde eine Viertelstunde vor Probenbeginn, denn nur bei nordischen 16 Grad war ihm ein gutes Arbeiten möglich. Wir alle waren angesteckt von den schnell wechselnden Emotionen der Hauptfiguren , ihren extremen Gefühlslagen. Im Nu stieg der Adrenalinspiegel und wir waren Teil einer geschlossenen, tiefen, emotionalen Welt – miteinander verbunden. Das Bett war ein zentraler Ort des Stückes, und Ingmar Bergman saß oft auf diesem Probenbett und sprach in einer Dichte und Sensitivität zu den Schauspielern, so dass ich fasziniert erlebte, wie sich die Physis der Schauspieler veränderte, während er zu ihnen sprach. Als wäre Ingmars Hand über das Gesicht der Schauspielerin gegangen, ohne es zu berühren, hatte sie plötzlich einen völlig anderen Ausdruck. Ingmar ging zu seinem Platz zurück, und die Szene begann von neuem. Bei dieser Art von Proben war ich als Souffleuse sehr gefordert. Ich hatte dieselbe emotionale Energie wie die Schauspielerin, musste aber im Text-Reingeben sachlich, klar und nüchtern sein. – Am Tag der Premiere überreichte mir Ingmar eine rote Rose.

M-E: Du bist noch einmal sehr geehrt worden. Die Freunde des Schauspiels Bonn haben Dir 2017 den Thespis-Sonderpreis verliehen. Wie ich gelesen habe, bist Du die erste Souffleuse, die einen Theaterpreis bekommen hat.

AS: Ich habe mich wirklich sehr gefreut, dass mich die Theaterfreunde so geehrt haben. In der Regel fallen wir Souffleusen nicht mit unserer Arbeit auf.

M-E: Hast Du für mich auch eine „Godesberger Geschichte“?

A.S: Zu manchen Schauspielern baute ich eine enge Bindung auf. So lernte ich 1990 in Darmstadt den Schauspieler Rolf Mautz kennen und begleitete ihn fortan in vielen Stücken. Erst als wir 2003 in Bonn als neues Team unter Klaus Weise antraten, gestand mir Rolf, dass er Godesberger sei. Das fand künstlerisch seinen wunderbaren Niederschlag in dem gleichnamigen Stück „Herr Mautz“ von der Autorin Sibylle Berg . Bunte Plakate mit Rolf Mautz vor dem Hintergrund der Godesburg und im Vordergrund den Kammerspielen zierten fortan in der Spielzeit 2003/04 die Godesberger Innenstadt.

Meine Lieblingsstelle in Bad Godesberg “im Äulchen”