Interview Dorle Miesala-Edel

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Dorle Miesala-Edel

Nenne  3 schillernde Persönlichkeiten, denen Du  in  Deinem bisherigen  Leben begegnet bist und  was zeichnete diese Menschen aus ?

Mein erster Chef: Mittags nahm er seinen Hut, setzte sich in seinen Mercedes und fuhr an den Rhein. Oft nahm er mich mit. Beim Spaziergang war sein Thema meist das Verwaltungsrecht. Er erzählte von Streitfällen, führte die Argumente aus, die zu richtungsweisenden Urteilen geführt hatten. Seine eigenen Ansichten und Gedanken zu den behandelten Grundsatzfragen waren gezeichnet von dem, was er aus Kriegserlebnissen an demokratischen  Lehren gezogen hatte. Mich fragte er dann gerne „Was sagt die Soziologin dazu“, sodass sich ein Gespräch entspann. Besonders eingeprägt hat sich mir sein Respekt für pragmatische Umsetzung neuer Ideen, für Pluralität.  Ich, die frisch von der Uni ins Bundesministerium gekommen war, hatte in ihm einen Chef, der es mir leicht machte,  mich in der Ministerialbürokratie zurechtzufinden.  Ich ziehe heute noch innerlich meinen Hut, wenn ich am Fenster seines Dienstzimmers vorbeikomme.

Begegnungen mit Christoph Schlingensief:  Wenn ich mich frage, woran erinnere ich mich, sehe ich einen attraktiven jungen Mann mit strubbeligem Haarschopf, heiter, verbindlich, freundlich auf einen zugehend. Freunde hatte er gerne um sich. Es belebte ihn, ihnen und sich Vergnügen zu bereiten. So beim gemeinsamen  Essen oder bei  den abendlichen Besprechungen. Bei Dreharbeiten erlebte ich ihn rastlos.  Anweisungen gab er  schnell und laut über das Megaphon. Er hatte kein festes Drehbuch. Einfälle, die sich in der Zusammenarbeit mit den Protagonisten ergaben, gingen sofort in spielerische Qualität über, was bedeutete, dass neue  zusätzliche Situationen zu bewältigen waren. Grundsätzlich musste bei jedem Dreh immer alles sehr schnell gehen, um das Pensum zu schaffen. Filmen ist schwerste Arbeit. Schonung kannte er nicht, nicht für sich und nicht für die Crew.

Aus einer eher reglementierten Welt kommend, wurde ich anfangs von den Filmen von Christoph Schlingensief regelrecht in den Kinosessel gepresst. Seine Empfindsamkeit, seine offene Wahrnehmung  und Phantasie setzte er ja in Bilder von der Entwicklung zu Bösem und Hässlichem um, alles ins Absurde zugespitzt – entsprechend künstlerisch die Realität aufbrechend. Ich verstand, dass  seine Kunst gleich Freiheit in der Reaktion auf die Gesellschaft  nichts ausschließt. Sein Ausprobieren von neuer Erzählweise faszinierte mich und tut es unvermindert.

Alfred Edel

mein Lieblingscafe in Bad Godesberg

Blick von meinem Lieblingshotel in Frankfurt

Mit einem warst Du verheiratet und warum, wo  war die erste Begegnung?

Erste Begegnung mit Alfred Edel: Er stand hinter dem Fenster der Kneipe, an der ich nach einem Kinobesuch mit Freundin entlang schlenderte. Er riss die Tür auf und rief: “Mädels, kommt doch rein“. Von da an nahm er unser ganzes Interesse in Beschlag. Er entzückte mich mit dem, was er erzählte, wonach er fragte, wie er kommentierte, wie er scherzte  – vibrierend vor Vitalität und sprühend mit Worten in so wohlklingendem bayerischen Tonfall. Auch mit seinem Getränk, etwas Magisch-Grünem, was mir nicht schmeckte, fiel  er auf. Das passte zu einem Mann der Werbung, in der er — und dies offensichtlich erfolgreich, tätig war.  An diesem Abend hielt er noch hinter dem Berg damit, dass er in der Rolle des Professors in Kluges gerade in Venedig ausgezeichneten Film „Abschied von Gestern“ zu sehen wäre.

Was fasziniert Dich am Medium Film?

Für mich sind Filme „Augen-Blicke“ des Wunderns , meiner Gefühle und des Entdeckens. Ich meine hierbei den Kinofilm. Ich liebe das Erzählen von Bildgeschichten in den Sujets Liebesgeschichte, Western, Krimi usw. Ich mag alle unterschiedlichen Filmtypen. Denn sie versprechen mir Action, sie schenken neue Ideen und Vorstellungen, sie wecken Sehnsüchte und Erinnerungen. Ich glaube, der Funke traf mich schon früh, als meine Mutter mich mit ins Kino nahm — durchaus auch in die Filme, die nicht für ein junges Publikum gedacht waren — für die Begleitung belohnt mit einer Tüte Bonbons. Ich verstand zwar noch nicht die Einzelgeschichten, empfand aber die Gefühle, die sich auf der Leinwand so übergroß in den Gesichtern und Handlungen ausdrückten.  Das rätselhaft Aufregende fesselte mich natürlich. So ergeht es mir immer noch, weil mir mit jedem Film mehr Wahrnehmungshorizonte  erfahrbar werden. Um Reflexion und persönliche  Aneignung geht es vor allem auch, wenn ein Film historische, gesellschaftliche Erfahrungen vermittelt. Filme erweitern allgemein  mein  Vorstellungsvermögen von dem, was an guten und bösen Kräften aus der Tiefe des Menschen kommt. Ich erlebe die Macht der Kunst am stärksten über den Film. Es macht Spaß, mich damit zu beschäftigen,  wie jede Zeit sich ihre neuen Helden und Heldinnen formt und Filme ihre Zeitphänomene widerspiegeln.

Wie haben Deine Eltern Dein kulturelles Interesse geweckt?

Ich glaube, genauso wie viele andere Eltern in der Mitte/Ende der 50er Jahre, als langsam die Kriegsfolgen überwunden wurden. Meine Mutter war Mitglied im literarischen Förderverein  geworden, der den Erwerb von Büchern erleichterte, und sie füllte so langsam ihr Regal wieder mit Büchern, vor allem mit den Neuerscheinungen. Wir Kinder hatten uneingeschränkten Zugriff auf jeden Lesestoff. Regelmäßig ging es in die Stadtbibliothek.

In die Zuständigkeit meines Vaters fielen die Museumsbesuche der „ Völkerkunde“  und des Handwerks, die Ausflüge zu städtischen und technischen Sehenswürdigkeiten mit den dazu gehörigen Erklärungen zur Entwicklungsgeschichte. Für Theater-, Oper- und Konzertbesuche waren zur damaligen Zeit die Umstände nicht günstig, — bis auf ein Weihnachtsmärchen auch gar nicht auf Kinder/Jugendliche ausgerichtet — und deshalb besonders schöne Erlebnisse, wenn es dazu mal kam. Großen Anteil an der kulturellen Bildung hatte auf jeden Fall die Schule.

Welche ist Deine Lieblingsstadt?

Frankfurt  – schon mit Ausstieg im Hauptbahnhof auf Gleis 6 freut mich der  laute, angespannte Großstadttrubel. Meist laufe ich seit vielen Jahren auf derselben Strecke zur Innenstadt die Erinnerungen und neue Überraschungen ab. In Frankfurt  fand sich immer ein Zugang zum Glück. Ein sehr frühes: Das Wasserhäuschen, weil  man dort für einen Pfennig zweimal ins Bonbonglas hineingreifen durfte. Frankfurt war immer von hoher Anziehungskraft, weil es so viele Geschichten  hat. Da gab es die verhaltene Neugier, die  den Nachbarskindern , deren Eltern zum US-militärischen Dienst gehörten, galt.  Manchmal durfte man zu besonderen Anlässen mit ins Sperrgebiet, wo es all das gab, was zu Hause unbekannt war. Im  berühmten Westend spielte sich Schule und später das Studium im politisch aufregenden Umbruch ab. Dort saßen im Café die jungen Literaten, die Professoren, sehr  selbstbewusste Kreative aus der Werbebranche. Hier  traf man sich mit Freunden, so wie auch heute noch, wo allerdings jetzt Banker in der Überzahl sind.  Bonn dominierte nach meinem Umzug als Dienstort, Frankfurt  blieb über die Wochenenden und andere freie Zeiten die Stadt großartiger Entdeckungen und Erlebnisse.  Sie übt einen besonderen Reiz  aus mit ihrer Moderne in engster Nachbarschaft mit neuer Altstadt,  mit Buchmesse, mit den vielen einzigartigen  Museen des Wundervollen, die zu besuchen ich keine Gelegenheit auslasse. Besonders das Deutsche Filmmuseum,  inclusive seines Kinos, das einst als erstes Kommunale Kino in der Bundesrepublik gegründet,  sich auf Programme der Filmkunst konzentriert. Es ist mein Lieblingsort. Jede Ausstellung brilliert mit den materiellen Aspekten des Filmschaffens über die letzten Dekaden des 20.Jahrhunderts. Etwas Wehmut über allseitigen Wandel, der in der Stadt nichts mit authentischer Idylle verschont, erfasst mich, wenn ich vom Haus des Films aus über die herausgeputzte  Mainuferpromenade hinweg zu den hochgetürmten Bauten der Banken , in denen  die globalen Finanzkräfte sitzen, schaue. Auf ein und demselben Areal von wenigen hundert Metern kommen Vielfalt und Kontraste  so klar zum Ausdruck. Frankfurt hat ein ehrliches Gesicht.

Bad Godesberg habe ich lange Zeit nichts abgewonnen. Mein Verhältnis war eines auf Bett – Bad – Büro verkürztes. Seitdem es zum Lebensmittelpunkt wurde und die Zeit dafür da war, seine schönen, bedeutsamen Bereiche zu entdecken und mit persönlichen Geschichten zu verbinden, gibt es für mich alle guten Gründe, Godesberg zu mögen. Es ist immer ein besonderes Vergnügen, vom Stadtpark hin zum Rhein zu laufen und die Aussicht auf das Siebengebirge zu genießen. In Godesberg ist eine freundliche Atmosphäre zu spüren. Sobald die Geschäfte schließen und keine jungen Leute mehr zum Kinopolis streben, erstirbt aber leider das Leben. Schön wäre, es gäbe eine Kulturkneipe, wo noch zu später Stunde der Umgang miteinander die Welt umfasst.

Interview/Fotos A. Bi

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