Interview Elisabeth Einecke-Kloevekorn

Theaternacht 2017

Rosi 2017

Elisabeth Einecke-Klövekorn

Was fällt Dir bei dem Wort „Kultur“ als erstes ein?

Pflege und Gestaltung von Lebensräumen. Das ist natürlich ein sehr weites Feld. Dazu gehören Traditionen und Normen, materielle und immaterielle Werte, Bildung und soziales Verhalten, Sport und mitmenschliche Achtsamkeit. Speziell interessiert mich in der Kultur der Teilbereich der Kunst, also die ästhetische und intellektuelle Deutung von gesellschaftlichen Prozessen. Klingt jetzt ein bisschen abstrakt. Konkreter meine ich nicht nur die Artefakte, sondern auch die sozialen Institutionen, die Politik und das bürgerschaftliche Engagement, die zusammen lebendige kulturelle Vielfalt ermöglichen.

Wie kamst Du zur Theatergemeinde?

Ehrlich gesagt zufällig. Um die Mitte der 1980er Jahre fragte die Theatergemeinde Bonn (TG) beim Germanistischen Seminar der Uni Bonn nach jemandem, der ab und zu wissenschaftlich fundiert in einem öffentlichen Gesprächskreis etwas zur zeitgenössischen Dramatik sagen könnte. Diverse neue Stücke – ich nenne hier nur Elfriede Jelinek – hatten für Irritationen beim Publikum gesorgt. Meine Beiträge kamen bei den Theaterleuten und den Zuschauer*innen ziemlich gut an, so dass die TG mir bald die Leitung des Gesprächskreises Sprechtheater übertrug. Ich fand es spannend, neben der akademischen Theorie öfter mal auf den praktischen Umgang mit Texten zu schauen. Daraus wurden dann regelmäßige Seminare und Diskussionen. 1991 wählte die TG mich in ihren Vorstand und zur Vorsitzenden der Jungen TG, im Jahr 2000 schließlich zur Vorsitzenden des gesamten Vereins.

Welche Menschen haben Deine Begeisterung für die Kultur geweckt?

Ich bin in der norddeutschen Kleinstadt Vechta in Oldenburg aufgewachsen. Bäuerlich geprägt, sehr katholisch und politisch tiefschwarz. Mein Vater war promovierter Biologe, engagierte sich als Heimatforscher und unterrichtete am städtischen Jungen-Gymnasium. Er liebte Literatur, klassische Musik und bildende Kunst. Meine aus Bad Godesberg stammende, eher extrovertierte Mutter hatte bei berühmten Professoren in Bonn Mathematik studiert und als Lehrerin an einer Waldorfschule gearbeitet. Sie ging gern ins Kino und Theater. Einmal im Monat gastierte die Landesbühne Niedersachsen Nord aus Wilhelmshaven in einem Kinosaal. Als ich zwölf war, kaufte sie für uns beide ein Abonnement und wenig später auch eins fürs Oldenburgische Staatstheater. Die Volkshochschule organisierte den Bus – ganz ähnlich wie es hier die TG für die Gruppen aus der Region macht. In Oldenburg erlebte ich zum ersten Mal Oper (war total angefixt von der „Zauberflöte“) und Ballett. Sehr beeinflusst haben mich zudem künstlerisch interessierte Freunde meiner Eltern, insbesondere ein Dominikanerpater, und meine Deutsch- und Lateinlehrerin an der Liebfrauenschule. So kam es, dass ich bei unserer Abiturfeier die Schülerinnen-Festrede halten durfte. Mein selbstgewähltes Thema: „Das moderne Theater und wir“. Sehr dankbar bin ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes, deren Stipendium mir mehrere Semester in Italien und Frankreich und vielen Freiheiten ermöglichte.

Mein in Wesseling aufgewachsener  Ehemann, den ich in einer Bonner Germanistik-Vorlesung kennenlernte, hatte übrigens als Schüler Abonnements bei den Theatergemeinden Bonn und Köln und lud mich regelmäßig zu Aufführungen ein. Auf die Erfahrungen mit der bescheidenen, von persönlichen Möglichkeiten bestimmten Kultur im ländlichen Raum folgte die Neugier auf städtisches und schließlich weltweites Kulturleben.

Selbst auf der Bühne zu stehen, reizte mich nie. Dass es Dramaturgen gibt, lernte ich erst viel später. Das Kunst-Machen überlasse ich gern und voller Respekt den dafür viel begabteren Künstlern.

Wie lebt es sich mit Deinen Interessen in Bad Godesberg?

Dass ich nun seit über 50 Jahren hier wohne, spricht eigentlich für sich. Die Familie meiner Mutter war dort seit Generationen verwurzelt. Bad Godesberg wurde von einer Stadt zum Stadtteil, und für das „Bad“ im Namen muss man mittlerweile historische Quellen bemühen. Die Bevölkerung hat sich hier seit dem Regierungsumzug demografisch  und atmosphärisch weit überdurchschnittlich verändert. Nicht alle Experimente sind geglückt, aber der Ort hat sich zu einem spannenden, geradezu exemplarischen, suburbanen Möglichkeitsraum entwickelt. Das durchschnittliche Bildungsniveau ist sehr hoch, die medizinische Versorgung exzellent. Die Qualität von Geschäften und Gastronomie ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Bad Godesberg besteht aus Dörfern (Friesdorf, Muffendorf, Plittersdorf, Rüngsdorf  usw.) mit spezifischen Eigenheiten. Im Einklang damit war es schon lange vor der Bundeshauptstadtzeit international. Erfahrungen mit sozial und mental getrennten Welten sind hier also nicht neu. Diverse kommunalpolitische Maßnahmen haben allerdings zu einer problematischen Gentrifizierung geführt  und Milieus geschaffen, zwischen denen es kaum Beziehungen, sondern eher Konflikte gibt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf mit dem Ziel, ein lebendiges urbanes Zentrum zu schaffen. Die Binsenweisheit, dass das nur mit Kultur funktioniert, wiederhole ich gern. Dafür hat Bad Godesberg mit seiner kleinteiligen Struktur, teilweise hoher Wohnqualität und seiner schönen Lage mit vielen grünen Erholungsräumen ein tolles Potenzial. Ich treffe oft spontan ohne Verabredungen ganz viele freie oder fest engagierte Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Publizist*innen, die hier leben und kreative Ideen haben.

Wie siehst Du die Entwicklung der Bad Godesberger Kulturlandschaft?

Angelpunkt ist der Theaterplatz – schade, dass die Open-Air-Bühne dort abgerissen wurde! – mit dem städtischen Schauspielhaus. Dafür setzen sich die Freunde des Schauspiels Bonn ja weiterhin energisch ein. Nur wenige Schritte entfernt liegt das private Kleine Theater, das unter neuer Leitung mit einem ambitionierten Spielplan und großem Engagement eine legendäre Tradition fortsetzt. Neu und gut etabliert hat sich am Hochkreuz „Malentes Theaterpalast“ mit einem originellen Ambiente und Programm. Es gibt wunderschöne Konzertsäle wie die Redoute im Zentrum, die Kleine Beethovenhalle in Muffendorf und den Historischen Gemeindesaal der Erlöserkirche im Villenviertel. Nahe am Zentrum residiert der Bad Godesberger Kunstverein mit wechselnden Ausstellungen. Die mittlerweile zur Tradition gewordene „Nacht der Galerien“ zeigt die überraschende Vielfalt der lokalen Kunstszene.  Unter den diversen literarischen Initiativen nenne ich nur die unabhängige  Parkbuchhandlung mit ihrem Verein „Lese Kultur Bad Godesberg“ und ihrem hochkarätigen Veranstaltungsprogramm. Ein echtes Highlight für alle Altersgruppen ist zudem das zentral gelegene Kinopolis, für Jüngere das Rock & Pop Zentrum im alten Hansahaus. All das zieht Publikum aus der ganzen Stadt und aus der Region nach Bad Godesberg. Derzeit noch eher punktuell und bei der Verweilqualität mit Luft nach oben. Eine Konkurrenz zu kulturell profilierten Stadtteilen wie Beuel und Endenich ist nicht sinnvoll. Aber gewiss die Arbeit an einer unverwechselbaren Identität und die Vernetzung von entsprechenden Erfahrungen und Initiativen. Wie man lokale Historie für die Zukunft fruchtbar machen kann, zeigt vorbildlich der seit 150 Jahren aktive Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg.  Auch die hiesigen Brauchtums- und Karnevalsvereine, Amateurtheater, -chöre und -musikgruppen wirken keineswegs verstaubt. Der Verein Bürger für Bad Godesberg setzt sich erfolgreich für zahlreiche wichtige Anliegen ein. Auch wenn die aktuelle Corona-Krise sicher noch lange ihre Spuren hinterlassen wird: Mit kluger Fantasie und gesundem Optimismus kommen wir weiter als mit hilflosem Trotz und vereinzeltem Aktionismus.

Lieblingsstadt? Immer Städte am Wasser und mit vielen Theatern. Deutschland: Hamburg Europa: Venedig. Außerhalb Europas: New York, alles im Prinzip ja, aber vor zwei Jahren habe ich mich echt verknallt in Jerewan und das wunderbare alte Schriftmuseum. Persönliche Hobbys? Freizeit habe ich selten. Wenn doch, nutze ich sie gern zum Reisen und für Museumsbesuche.  Das Schönste bei allem: Etwas finden, was ich gar nicht gesucht  habe. Lieblingskomponist? Johann Sebastian Bach, von dem schon Beethoven meinte, er müsse eigentlich „Meer“ heißen. Lieblingsgemälde? Als malerisches Schlüsselerlebnis Caravaggios „Narziss“. Immer wieder Anlass zum Nachdenken: das Fresko „Il Buon Governo“ im alten Rathaus von Siena. Lieblingsplatz in Bad Godesberg Ich lebe gern in Bad Godesberg, weil der Ort so vielseitig ist. Zugegeben: Ich wohne sehr zentral und trotzdem ruhig in einem alten Haus mit einer eigenen Familientradition. Fast alles kann ich zu Fuß erreichen und bin mit dem ÖPNV schnell überall in der ganzen Stadt. Um den Bad Godesberger Wochenmarkt (okay, der Platz ist architektonisch ziemlich verunglückt)  beneiden mich sogar Freunde aus Köln und Düsseldorf. Trotz aller Kritik mag ich den Theaterplatz, und natürlich sitze ich besonders gern im Schauspielhaus und im Kleinen Theater.

Warum arbeitest Du neben Deiner professionellen Tätigkeit auf vielen Ebenen ehrenamtlich?

Volltreffer: Solche Warum-Fragen sind echt tückisch. Entweder stolperst du in die Moralfalle, oder erscheinst als eitler Egowellensurfer nach dem Motto „Mach dein Ding“. 2003 habe ich schon mal für die Kulturpolitische Gesellschaft  einen Essay zum ehrenamtlichen Kultur-Engagement in gemeinnützigen Vereinen verfasst und den gerade noch mal gelesen.  Ehrenamt funktioniert nur mit freiwilligem Einsatz, konkret erreichbaren Zielen, sozialer Anerkennung und Vorständen, die nicht hierarchisch bestimmen, sondern motivieren wollen. Etwas flapsig aus meiner heutigen Sicht formuliert: Das Leben ist viel zu kurz für Langeweile. Mach also dein Umfeld so anregend, dass du deinen Standort  gern kritisch liebevoll betrachtest. Und prompt lande ich doch beim Eigensinn und der Verantwortung. Wer viel lernen durfte und oft einfach Glück hatte, kann das weitergeben als Auftrag für ein sich ständig veränderndes Gemeinwesen. Am besten ohne Pathos, aber mit fröhlicher Selbstironie.

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