Konstantin Gockel
die Stimme der Geige
Der Geiger und Komponist Konstantin Gockel wurde in Bonn geboren und lebt seit vielen Jahren in Bad Godesberg. Man trifft ihn nicht nur in Konzertsälen, sondern auch auf diversen Theaterbühnen oder an anderen Kunstorten. Denn Gockel lässt nicht nur seine Violine in unterschiedlichsten Musikstilen erklingen. Er beschäftigt sich auch immer wieder mit dem Klang der gesprochenen Worte und verleiht der alten Form des Melodrams überraschend neue Facetten. Vor etlichen Jahren begleitete er mit seiner Geige beispielsweise im Kleinen Theater die Schauspielerin Christine Uhde bei ihren Märchenprogrammen und die Schriftstellerin Karin Hempel-Soos bei ihren Lesungen im Haus der Geschichte. Mehrfach arbeitete er auch mit dem Puppenspieler und Rezitator Gerd J. Pohl zusammen.
Einige Jahre lang war er Konzertmeister des Heidelberger Kammerorchesters. Als Violinsolist und Interpret seiner eigenen Werke war er – teilweise auf Vermittlung des Goethe-Instituts – in ganz Europa, Amerika und Südkorea unterwegs. Er erhielt u.a. den Grand Prix beim Internationalen Kammermusikwettbewerb in Colmar sowie den „Logos Award fort he best performance oft he year“ in Gent. Rund 40 Werke bekannter zeitgenössischer Komponistinnen und Komponisten hat Gockel uraufgeführt, darunter sind international so berühmte Namen wie John Cage und Morton Feldman. Mehrere Musiker schrieben Stücke für ihn, beispielsweise die Amerikanerin Pauline Olivieros, die deutsche Komponistin Barbara Heller sowie Markus Stockhausen, der ihm 2002 sein Werk „Inseln“ für Violine solo widmete.
Gockel war häufig im Radio zu hören und hat mehrere CDs eingespielt. Er ist auch selbst als Komponist tätig. Im Auftrag des Stadtmuseums Bonn entstand das 2004 uraufgeführte Stück „Eurydikes Schweigen“, 2005 im Auftrag des Kölner Studio Dumont das Werk „Wo Sprache aufhört…“. Mit dem Bonner Schauspieler Christoph Pfeiffer und dessen Kollegin Maren Pfeiffer interpretierte der Geiger im Rahmenprogramm des Beethovenfestes 2012 höchst vergnüglich „Morgensterns Galgenlieder“. 2018 folgte mit Maren Pfeiffer im Theater die Pathologie Rilkes Dramenfragment „Die weiße Fürstin“. Das „kultur“-Magazin der Theatergemeinde schrieb damals zu diesem musikalisch-poetischen Versuch: „Rilkes pathetische Sprache duftet süßlich schwer nach Vergänglichkeit. Dagegen setzt Gockel mit seiner Geige manchmal wie Meeresrauschen flirrende, manchmal schmerzhaft dissonante Klänge.“
Elisabeth Einecke-Klövekorn und Angela Biller trafen Konstantin Gockel im Bad Godesberger „Epi“.
EEK: Lieber Konstantin, wie bist du zur Musik gekommen? Warst du familiär ‚vorbelastet‘?
KG: Letzteres eigentlich nicht. Meine Begeisterung für die Musik begann in meiner Schulzeit am Internat Kloster Steinfeld in der Eifel, das vor rund zehn Jahren leider geschlossen wurde. Mit 16 Jahren begann ich meine Ausbildung als Jungstudent an der Kölner Musikhochschule und absolvierte dort dann auch mein Studium im Hauptfach Geige und besuchte etliche Meisterkurse. Ich hatte dort wunderbare Lehrerinnen und Lehrer.
EEK: Wer hat dir bei deiner Karriere besonders geholfen?
KG: Die Namen kann ich hier gar nicht alle nennen. Viele musikalische Anregungen verdanke ich dem Komponisten Rudolf Petzold, dem Pianisten Eckart Sellheim und der legendären Pianistin Maria Bergmann, die Jahrzehnte lang erste Hauspianistin beim SWR war. Sie hatte ein schier unerschöpfliches Repertoire und war eine Perfektionistin. Man musste also zur ersten Probe sorgfältig vorbereitet erscheinen. Wir haben viele Konzerte und Radioaufnahmen miteinander gemacht.
Viel zu verdanken habe ich auch Jürgen Drews (gemeint ist nicht der gleichnamige Schlagersänger!), der jahrelang das Musikreferat des Goethe-Instituts leitete, dem Musikredakteur Wilfried Brennecke vom WDR, dem Bonner Musikwissenschaftler Emil Platen und aktuell der Bad Godesberger Konzert-Agentin Elvira Engelhardt.
EEK: Dein Repertoire umfasst Werke aus allen Epochen. Du giltst aber insbesondere als Spezialist für zeitgenössische Musik und komponierst sehr viel selbst. Bekanntlich hat es moderne Musik in den Konzertsälen nicht gerade leicht. Welcher Komponist des 20. Jahrhunderts ist für dich besonders faszinierend
KG: Sicherlich Charles Ives, zu dem mir die Amerikanerin Deborah Richards den Zugang verschaffte. 1979 haben wir in Köln das Clementi-Trio gegründet, das insbesondere Musik des 20. Jahrhunderts präsentieren wollte. Bei den von dem 2016 verstorbenen Komponisten Josef Anton Riedl gegründeten Tagen neuer Musik der Stadt Bonn führten wir in den 1980er Jahren Ives‘ Klaviertrio auf.
EEK: Welche Auszeichnung hat dich besonders gefreut?
KG: Der „Logos Award“ der Logos Foundation 1995 in Gent für meinen Zyklus „Die Stimme der Schlange“. Die Stiftung lädt seit Jahrzehnten Musiker aus der ganzen Welt ein und stellt sie in Konzerten vor. Ich war da mehrfach zu Gast.
EEK: An welche Konzerte denkst du besonders gern zurück?
KG: In Erinnerung bleiben mir vor allem die Konzerte in Krakau, Auschwitz und Vilnius, zu denen die Stiftung „Judaica“ mich zusammen mit der Pianistin Ljudmila Givoina eingeladen hatte. Wir spielten ein Programm mit Werken von Felix Mendelssohn, Ernest Bloch, Roma-Musik sowie von mir das Stück „Verlassene Feuer“.
EEK: 2001 hast du mit Givoina das Deutsch-Weißrussische Duo gegründet, inzwischen mit dem aus Moldawien stammenden Akkordeonisten Jakob Schkolnik auch das „Duo Moldau“. Wieso wurde die Musik der Roma ein Schwerpunkt deiner Arbeit?
KG: Mit der Roma-Musik und -Literatur beschäftige ich mich seit vielen Jahren. Ihr Reichtum ist unermesslich. Auch die Musik jüdischer Komponisten stelle ich gerne vor. Die Gegenüberstellung von jüdischer Musik, Roma-Musik, Klassik und Moderne interessiert mich und hoffentlich auch die Hörerinnen und Hörer. Ich verbinde gern Traditionen mit neuen Klängen.
EEK: Es fällt auf, dass du dich immer wieder mit der Sprache und dem Schweigen beschäftigst. Dein Stück „Fliehende Worte“ wurde vom WDR produziert. Deine Kompositionen sind aber keine klassischen Gedichtvertonungen, sondern eigenwillige Text-Kommentare. Außerdem hast du die alte Form des Melodrams neu belebt. Wie bist du dazu gekommen?
KG: Ebenso wie der Musik sind auch der Sprache rhythmische und melodische Elemente eigen. Das Ineinanderfließen von Sprechen und Musik kennzeichnet das Melodram. Ich mag es, die Grenzen zwischen den einzelnen Kunstgattungen aufzuheben. Unter dem Titel „Musik im Blut“ habe ich mit dem Rezitator Gerd J. Pohl auch mal eine Performance über Vampirmythen gestaltet.
EEK: Zu einem Konzert des Deutsch-Weißrussischen Duos 2016 zum Holocaust-Gedenktag in der Ahrweiler Synagoge, bei dem ihr auch deine Komposition „Lilith“ spieltet, hieß es im Bonner General-Anzeiger: „Einmal schraubte sich die Violinlinie nach tiefen, fast drohend vibrierenden Klavierakkorden bis in höchste Höhen. Dann wurden die Violinsaiten energisch und spannungsgeladen gerieben, während die Klaviersaiten zuweilen dröhnten und grollten.“ Du hast mal gesagt, dass die Geige zu den schönsten Instrumenten gehöre, auf denen der Musiker einen Ton erzeugen kann. Kannst Du das etwas genauer erklären?
KG: Die Violine ist mir buchstäblich ans Herz gewachsen. Sie ist ein handliches Instrument mit großer Tradition und überall einsetzbar. Ganz im Ernst: Die Klangschattierungen sind nahezu unendlich. Sie reichen vom Hauchzarten bis zum vampirhaften Eindringen in die Saiten, vom reinen Legato mit einem Bogenstrich bis zum Geräuschhaften.
EEK: Du hast selbst Jahrzehnte lang an der Bonner Musikschule in Bad Godesberg unterrichtet. Welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?
KG: Ich habe immer versucht, Ruhe und Geduld zu bewahren, war aber zugleich sehr pedantisch. Oft sage ich: „Das Problem, das du an dieser Stelle hat, habe ich auch. Ich zeige dir, wie ich versuche, es zu lösen.“ Ich habe auch Preisträger unter meinen Schülerinnen und Schülern. Am wichtigsten war allerdings stets, Freude am Geigen zu vermitteln – trotz des mühsamen Übens.
EEK: Verbringst du viel Zeit mit Üben?
KG: Klar, man muss jeden Tag trainieren wie beim Sport. Mein Sohn hat mit 18 Jahren kapituliert (lacht). Aber ab und zu gönne ich mir eine Pause. Manche Stücke muss man eine Weile liegen lassen und dann neu herangehen.
EEK: Improvisierst Du auf der Bühne oder ist alles vorher fertig auskomponiert?
KG: Bei der Arbeit mit Schauspielern oder bildenden Künstlern reagiere ich manchmal spontan. Aber normalerweise spiele ich auch meine eigenen Stücke so, wie ich sie aufgeschrieben habe.
EEK: Was macht dich bei deiner Arbeit glücklich?
KG: Ich bin immer froh, wenn ich z.B. mein Stück „Die Stimme der Schlange“ vorstelle und dabei auf Neugier und fröhliche Reaktionen treffe, egal ob bei einem größeren Konzert, in einem Altenheim oder in einer Schule.
EEK: Was planst du demnächst?
KG: Das Benefizkonzert im Albert-Schweitzer-Haus in Bad Godesberg mit meinem Akkordeon-Partner hat viel Spaß gemacht. Aktuell plane ich Konzerte mit älteren eigenen Violinstücken und Werken des rumänischen Geigenvirtuosen und Komponisten Grigoraş Dinicu, der aus einer Roma-Familie stammte und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr berühmt war.
EEK: Vielen Dank, lieber Konstantin, für das ausführliche Gespräch.
Gregor M, ist ein großer Fan von Konstantin Gockel und würde gerne bei ihm Unterricht nehmen
Das Interview führte Elisabeth Einecke-Klövekorn, Fotos A. Biller wenn nicht anders vermerkt.