Interview Glockenspieler von Bad Godesberg

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Interview mit Georg Wagner

A.Bi  Seit wann kann man Sie als Carilloneur bezeichnen und haben Sie sich Ihrem Fast- Namensvetter, Georg Heinrich Wagner, ein deutscher Orgelbauer aus dem 17. Jahrhundert zum Vorbild genommen?

G.W. Als ich zusammen mit meiner Frau im Oktober 2014 die Ausbildung zum Carilloneur im niederländischen Amersfoort begonnen habe, kannte ich diesen Orgelbauer zwar noch nicht, aber das Carillonspiel hat schon etwas mit Orgelspiel zu tun, da größere Carillons wie eine Orgel über eine Klaviatur für die Füße verfügen. Ich selbst habe auch eine Organistenausbildung genossen und schätze dieses Instrument wegen seiner Vielfältigkeit sehr. Als Carilloneur bezeichnen wir uns, seit wir dieses wohl öffentlichste aller Musikinstrumente auch für alle erträglich spielen können. Ich sage dies mit einem Schmunzeln, denn hoffentlich war dies spätestens zum Abschluss unserer 4-stufigen Ausbildung am Niederländischen Carillonzentrum (Beiaardcentrum Nederland) im Sommer 2018 auch der Fall.

A. Bi.Von Hause aus Mathematiker: Setzen Sie mit Ihrem musikalischen Talent eine Dissonanz zum mathematischen Denken? Über Rhythmus und Zahlen hinaus, was sind Ihre persönlichen Parallelen? (unser Interview mit Dr. K. Lang, Vors. FdS, auch Mathematiker und Komponist).

G.W. Ganz im Gegenteil: die Musik, wie wir Sie kennen basiert auf Zahlen und Zahlenverhältnissen. Diese Musik klänge ohne sie nicht im Ansatz so, wie wir es kennen. Die gesamte Harmonielehre, der Tonsatz, die Kompositionstechnik sind von Zahlen und deren geordneten Verhältnissen durchdrungen, selbst ein einzelner wohlklingender Ton weist mit seinen vielen Obertönen exakte Zahlenverhältnisse auf. Ist diese Ordnung gestört, so vernehmen wir mehr unschöne Geräusche als harmonische Klänge. Ein Musiker bzw. ein Komponist kennt daher sehr gut die auf Zahlen basierenden Harmonien und Klänge und weiß damit gekonnt umzugehen. Und letzteres wird entscheidend durch sein musikalisches Gespür und seine Emotion bestimmt.

A.Bi.Welche musikalischen Vorbilder und Unterstützer, Eltern, Lehrer, Vorbilder haben Ihr musikalisches Talent, ich denke das ist die Grundvoraussetzung, gefördert und spielen Sie noch weitere Instrumente, als Laie würde ich mal raten, Klavier?

G.W. Zum Glück kann ich sagen, bin ich in einer musikalisch aktiven Familie aufgewachsen, in der das Singen in der Familie und im Chor sowie das Beherrschen eines Musikinstrumentes selbstverständlich und unverkrampft waren. Von den vielen Menschen, die mich zeitlebens unterstützt und gefördert haben, bin ich besonders dem inzwischen verstorbenen Domkapellmeister der Diözese Eichstätt dankbar, bei dem ich lange Zeit umfassenden Unterricht hatte. Wolfram Menschick war ausgezeichneter Pädagoge, Komponist, Kirchenmusiker und Organisator. In der Tat spiele ich neben Orgel und Carillon auch noch Klavier, womit ich vor ca. 42 Jahren begonnen habe. Gerne hätte ich neben den Tasteninstrumenten auch ein orchesterfähiges Blasinstrument gelernt, wie zum Beispiel die Oboe wegen ihres außerordentlichen, lyrischen Klanges und des Gemeinschaftserlebnisses. Doch als ich neben Kirchenmusik ein Betriebswirtschaftsstudium aufgenommen habe, reichte die Zeit dafür nicht mehr.

A.Bi. Der Verein Bürger-Bad-Godesberg hat sich – in Abstimmung mit der Stadt Bonn als Eigentümer – des Carillons angenommen und mit ehrenamtlichen Helfern bereits mehrere Maßnahmen zur Instandhaltung durchgeführt. Ebenso sorgt der Verein für die Einbindung des Carillons bei Veranstaltungen im Stadtpark.“Wir sind gespannt, lieber Herr Wagner, wie Sie zu den Bürgern Bad Godesberg kamen, oder kam das Carillon erst zu Ihnen?

G.W. Die Bürger Bad Godesberg waren mir bereits durch ihr starkes Engagement für ein Stadteil-Hallenbad seit Langem bekannt. Der Kontakt kam indes auf Umwegen zustande. Unser Glockenfreund Rolf Linden, mit dem wir schon seit Jahren das traditionelle Glockenbeiern betreiben, fragte sich in Bad Godesberg durch, wer denn für das kleine Carillon im Stadtpark zuständig sei. Dabei stieß er Anfang 2018 auf den Verein. Der Verein war gerade dabei, seine Aktivitäten auch auf das Carillon, welches in unmittelbarer Nähe des Trinkpavillons steht, auszuweiten, um es vor der völligen Verwahrlosung zu bewahren. Und just in dieser Zeit kamen wir zusammen. Ein bis heute sehr glückliche Verbindung!

A. Bi.Leidet so ein hölzernes Glockenspiel, besser gesagt: leidet der Klang nicht darunter, Wind und Wetter ausgesetzt zu sein, wie das Carillon im Stadt- und Kurpark? Stehen diese Instrumente nicht eher in geschlossenen Räumen wie Orgeln in der Kirche?

G.W. Glocken klingen am besten im Freien und aus der Entfernung. Schaut man in die Geschichte der Glocke, so ist sie im Grunde als Signalgeber entstanden und verwendet worden, der selbst in weiter Entfernung noch zu hören sein sollte. Daher ist die heute bei uns gebräuchliche Glockenform auf Lautstärke ausgelegt; in geschlossenen Räumen klingt sie, wenn nicht baulich gedämpft, viel zu grell und unangenehm laut. Eine Pfeifenorgel hingegen braucht einen geschlossenen Raum mit relativ viel Akustik, um ihren Klang voll entfalten zu können. Wind und Wetter können dem Glockenklang bzw. der Glocke selbst per se nichts anhaben. Starker Wind verzerrt allerdings die Schallwellen oder vertreibt geradezu den Klang, gerade wenn ein Carillon auf einem hohen Turm hängt. Das Material einer Glocke leidet übrigens nicht unter der Witterung, da es sich um Bronze handelt. Allerdings sind die Aufhängung der Glocken (teilweise aus Holz) und die metallene Spieltechnik sehr wohl der Witterung und Alterung ausgesetzt, auch wenn ein Carillon in einer Turmstube hängen sollte (z.B. St. Josef, Beuel). Da die Konzeption des Bad Godesberger Carillons auf vollkommene Sichtbarkeit der Technik, der Glocken und des Spielers setzt, so sind die meisten Teile gänzlich der Witterung ausgesetzt. Ich bin immer wieder erstaunt, was nach so langer Zeit, die das Bad Godesberger Carillon existiert, noch funktioniert, was inzwischen der Rost inzwischen vollkommen aufgelöst hat und welche Wege der Regen ins Innere der Spielerkabine finden kann.

A.Bi.Wie ist es um den derzeitigen Zustand des Bad Godesberger Carillons bestellt? Was kann, was muss getan werden?

G.W. Das Bad Godesberger Carillon ist nicht nur ein seltenes Musikinstrument, sondern für die ganze Stadt Bonn etwas ganz Besonderes: Es wurde 1979 zur Bundesgarten im neu gestalteten Rheinaue-Park auf dem Glockenhügel aufgestellt. Die Klänge, die die damaligen Besucher täglich hören konnten, kann man noch heute in Bad Godesberg hören! Das ist eine geschichtliche Zeitreise. Doch leider ist die ganz auf Öffentlichkeitswirksamkeit ausgelegte Konstruktion in den vergangenen 40 Jahren im Grunde kaum instandgehalten worden. Selbst offensichtlich brüchiger Fensterkitt wurde gelegentlich nur mit Farbe überstrichen. Halterungen sind vollkommen weggerostet und nur noch in Ansätzen vorhanden; zum Glück sind dies keine tragenden Teile! Der Verein Bürger Bad Godesberg e.V. hat Anfang 2019 eine Spendenaktion mit der Vergabe von Glockenpatenschaften ins Leben gerufen. Von der großen Resonanz in der Bad Godesberger Bevölkerung motiviert hat nun die Stadt Bonn als Eigentümer die Renovierung für den kommenden Doppelhaushalt zugesagt; dies ist natürlich noch vorbehaltlich der noch anstehenden Haushaltsberatungen. Doch der Kreis unserer Förderer ist erfreulicherweise sehr groß und daher sind wir zuversichtlich, dass die notwendige Grundrenovierung durchgeführt werden kann. Dazu sollen auch Fördermittel des Landes Nordrhein-Westfalen beantragt werden.

A.Bi. Wie verbringt Georg Wagner neben seinem Beruf als Financial Controller und seiner Passion als Carilloneur seine Freizeit und teilt Ihre Frau Ihre Leidenschaft?

G.W. Über die Musik, speziell das Instrument Orgel, haben meine Frau und ich sowieso vor über zwanzig Jahren zusammengefunden. Auch die rheinische Tradition des Glockenbeierns macht uns beiden mächtig Spaß, sodass es für uns eigentlich nur noch ein kleiner Schritt war, auch gemeinsam das Carillonspiel zu erlernen. Und: die intensive Ausbildung in dem wunderschönen niederländischen Amersfoort war immer wieder ein toller Wochenendausflug. Andere gehen auf Golfturniere, wir gehen auf Carillon-Entdeckungsreisen und erleben damit tolle Städte, einzigartige Carillons auf oft abenteuerlichen Türmen und gastfreundliche Haus-Carilloneure. Während unseres letzten Urlaubs haben wir 17 verschiedene Carillons u.a. in der beliebten Ferienregion Zeeland und in der Bad Godesberger Partnerstadt Kortrijk gespielt. Auch ein Carillon mit ähnlicher Lage in einem Park konnten wir spielen; dieser Park im niederländischen Breda nennt sich übersetzt „Grüner Hügel“, sodass wir nun in Anklang auf die Bayreuther Festspiele sagen können, dass wir auch schon auf dem Grünen Hügel gespielt haben. Aber Bayreuth ist natürlich etwas anderes.

A.Bi.Was verbindet Sie mit dem Wort Kultur, oder besser gesagt wie interpretieren Sie persönlich diesen Begriff Kultur? Verfügt Bad Godesberg im weitesten Sinne, so wie es sich zurzeit darstellt, über genügend Kultur?

G.W. Die Definition des Begriffs Kultur ist ein sehr weites Feld und gerade in Bonn wurden mit dem Begriff Hochkultur Dinge gegeneinander ausgespielt. Dies sollte nicht sein, weil Kultur per se genau so vielfältig ist wie die Menschen, die sie machen oder genießen wollen. Auch scheint es mir ein grundlegender Wesenszug des Menschen zu sein, mehr tun und erleben zu wollen als nur das Lebensnotwendige. Und genau dies sollten sich aus meiner Sicht Entscheidungsträger immer vor Augen führen, wenn über „wieviel“ und „welche“ Kultur diskutiert wird. Daher halte ich grundsätzlich jede Initiative von Menschen für Menschen, die auf dieses menschliche Grundbedürfnis eingeht, für sehr begrüßenswert. Davon kann man im Grunde nie genug haben.

Interview u. Bilder/Video A. Biller