Interview Rolf Mautz

Immer ein Koffer in Bad Godesberg – Rolf Mautz-

Dorle Miesala-Edel interviewt Rolf Mautz 

M-E: Herr Mautz – Sie sind quicklebendig, tragen Ihren amtlich beglaubigten Namen, spielten den Herrn Mautz im Theaterstück Herr Mautz am Theater in Oberhausen und Bonn, das von der Autorin Sybille Berg eigens für Sie geschrieben worden ist. Man ist verwirrt. Wird Ihr Lebensweg nachgezeichnet? Wird eine Geschichte um Ihren komischen Namen herum – er klingt wie ein Katzenlaut –erzählt?  Um welches Ineinanderwirken geht es?

R.M: Das Stück spielt in einem Hotelzimmer in Bangkok, in dem ein gewisser Herr Mautz von Malaria bedingten Fieberphantasien heimgesucht wird, in denen seine Eltern, seine Frau, seine Geliebte, zwei Bauarbeiter und ein Hund auftauchen, die von drei Kakerlaken wechselweise dargestellt werden. Die Geschichte hat mit dem realen Leben des Herrn Mautz, wie oft vermutet wurde, nichts zu tun. Der theatralische Herr Mautz und der reale Mautz haben dennoch gemein, dass beide Könige im Reich ihrer Erinnerungen sind. Frau Berg hatte mich bei den Mülheimer Theatertagen in ihrem Stück Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot gesehen und hatte mir, als ich sie um ein Autogramm in mein Textbuch bat, zu meiner großen Überraschung versichert, dass sie ein Stück für mich schreiben werde. Sie ist heute eine anerkannte literarische und dramatische Größe, die 1997 als „Mutter der Pop Literatur“ galt. Mein Stück hat den Untertitel Ein angenehmes Stück von Frau Berg. Für mich ist es angenehm  bei Gastspielen vorgestellt zu werden mit dem Satz „Das ist Herr Mautz, für den Frau Berg ein Stück geschrieben hat“. Es ward mir nicht an der Wiege gesungen.

M-E: Ihr Vater war Literaturwissenschaftler, Schriftsteller. Ihr Großvater hatte in Bad Godesberg einen Verlag. Welche Bedeutung hat diese Herkunft für Sie gehabt?

R.M: Mein Vater war Germanist, Schriftsteller und Poet in der Sparte der Konkreten Poesie. Er hat 1996 im Alter von 85 Jahren den Roman „DER URFREUND“ veröffentlicht, der in der Fachwelt der Germanisten für Aufsehen sorgte. Ebenso seine „Konkrete Poesie“. Seine Arbeit über Georg Heym gehört zu den Standardwerken über den Dichter. Ich bin demnach mit Literatur und der Literaturgeschichte sehr früh vertraut geworden und habe nach meinem Abitur vier Semester Germanistik in Köln und München studiert. Auf die umfangreiche Bibliothek der gesamten europäischen Literatur meines Vaters greife ich immer gerne zurück. Diese liegt wohlgeordnet in Containern auf dem Dachboden, denn die Wände würden sonst unter dem Gewicht der Bücher zusammenbrechen. Mein Großvater besaß einen Musikverlag für Männerchöre in der Augustastraße 18 in Bad Godesberg. Albert Ullrich Musikverlag und Versand – Auf Flügeln des Gesanges lautete das Signet des Verlages, das den Drachenfels mit einer Harfe über den Rheinwellen darstellte. Er ernährte nach 1945 die Familie, indem er die Noten der Chöre gegen Eier und Speck im Ländchen oder der Eifel eintauschte. Auf der Presse in seinem Thekenzimmer stand eine große Beethovenbüste und über dem Flügel hing das Bild von Napoleons Ritt am St.Bernhard. Leider musste die schöne Gründerzeit Villa einer Schule weichen, doch die alte Kastanie davor steht noch immer als Landmarke meiner Erinnerung.

M-E: Wo sind Sie aufgewachsen? Sind Sie mit Bad Godesberg verwurzelt?  

R.M: Meine Geschichte mit Godesberg ist sozusagen kreisförmig. Ich wurde im Godesberger Marienhospital geboren. Meine Vorfahren waren gebürtige Wuppertaler von mütterlicher Seite. Der Bruder meines Großvaters, Martin Ulrich, leitete von 1925 – 1936 die Rheinische Schauspielbühne Godesberg im Haus an der Redoute, wo Paul Kemp auftrat, der von meiner Mutter und deren Schwester als das „Paulchen Kemp“ vergöttert wurde. Paul Kemps Grab auf dem Burgfriedhof liegt nur fünf Schritte vom Grab meiner Großeltern entfernt. Als Internatsschüler in den Jahren 1956 –1966  kam ich meist in den Oster- und Weihnachtsferien nach Godesberg, um meine Großeltern in der Augustastraße zu besuchen. Meine Tante, Frau Irene Protze, nahm mich bereits als Kind mit ins Theater, vorwiegend in den alten Kontrakreis (Leitung Kurt Hoffmann) oder ins Kleine Theater am Ubierring (Leitung Walter Ulrich) und später zu den Gastspielen der Berliner und Wiener Theater in den neu errichteten Kammerspielen. Und als Schauspielschüler pilgerten wir 1972 von Bochum nach Godesberg, um die Gastspiele der Berliner Schaubühne zu sehen – darunter unvergessen mit Bruno Ganz als Prinz von Homburg, Jutta Lampe als Nathalie, Peter Lühr als Kurfürst und Otto Sander als Kottwitz – Fegefeuer in Ingolstadt mit Angela Winkler, Rüdiger Hacker und Tilo Prückner. Es ward mir nicht an der Wiege gesungen, dass ich 2003 in meine Geburtsstadt zurückkehren und einmal auf der Bühne der Kammerspiele stehen würde.

#

M-E: Welches Erlebnis in Ihrer Jugend hat sich in Ihrer Erinnerung eingebrannt? Was hat es Ihnen für`s Leben gegeben?   R.M: Vorwiegend die Sorgen der Eltern und Großeltern um die wachsende Kriegsgefahr: die Suezkrise, der Ungarnaufstand, der Bau der Berliner Mauer und später meine Teen- und Twen- Erlebnisse, die Kubakrise, die Ermordung Kennedys, der Einmarsch der Russen in Prag, der Vietnamkrieg. Diese Ereignisse haben mich, da diese in der Familie, der Schule und der Uni heftig diskutiert wurden, politisiert und zu dem Alt-68iger gemacht, zu denen ich mich jetzt, nach manchen Irrungen, zumindest quantitativ zählen darf. 1963 war ich in England, um mein Englisch aufzubessern und sah dort den Film Lord of the Flies von Peter Brook im Kino der Luftwaffenbasis Lakenheath, wo ich auch zum ersten Mal eine Rockband live sah. Beides „nachhaltige“ Offenbarungen. Und in meinen Ferien in der Normandie, um mein Französisch aufzubessern, sah ich die Strände des D-Day und die riesigen Friedhöfe amerikanischer Soldaten, die zu tausenden für die Befreiung vom Faschismus gefallen waren. Das Grab von Edith Piaf auf dem Père Lachaise und der erste Ricard mit einer Gauloise bleu. Schwedinnen lehrten mich in den Weinbergen an der Loire Rock´n Roll und le Swing tanzen. …Das lag mir im Blut, das war mir in die Wiege gelegt…   M-E: Welche Begabung hat sie wie keine andere zu dem Beruf des Schauspielers geführt? Haben Sie früh das Theatervirus in sich entdeckt?   R.M: Meine Mutter hatte Schauspielerin werden wollen, doch in bürgerlichen Kreisen galt dieser Wunsch als „unmöglich“. Die Schwestern Anne und Irene Protze waren in ihrer Jugend  film- und theaternärrisch. Während meine Mutter mich in die Filme mit Hupsi von Meyerinck und Theo Lingen schleppte, die in ihren Augen die Komödie repräsentierten, schwärmte meine Tante, die Übersetzerin bei der British Embassy war, von Laurence Olivier, John Gielgud und Alec Guiness. Im Gymnasium konnte ich schlechte Mathe- und Lateinnoten durch dramatische Gedichtvorträge wettmachen, was meinen gleichfalls theaternärrischen Deutschlehrer veranlasste, mich als Schneider in „Des Kaisers neue Kleider“ zu besetzen, einem Politdrama, das unbestritten aktuell ist. Zur Woche der Brüderlichkeit gab es im Gymnasium des Internats der Evangelischen Kirche im Rheinland – benannt nach dem von den Nazis im KZ Buchenwald ermordeten evangelischen Pfarrer Paul Schneider – in Meisenheim am Glan alljährlich eine Theateraufführung, bei der ich mitwirken durfte. Dem Anlass entsprechend meist Dramen, die sich gegen die Tyrannei der Herrschenden richteten, wie zum Beispiel Antigone oder Arthur Millers Zwischenfall in Vichy, womit ich möglicherweise mein Abitur gerettet habe. Beeindruckt war ich von den Rezitatoren, die die ganze Droste-Hülshoffsche Judenbuche oder den Kohlhaas vortrugen, ohne einmal ins Buch zu sehen. Beeindruckt auch von den Klassenfahrten nach Wiesbaden, wo der junge Regisseur Hans Günter Heyme grandiose und aufregende Theaterskandale entfachte. Dass ich fünf Jahre später zu dessen Ensemble in Köln gehören sollte, ward mir 1966 nicht an der Wiege ………

M-E: Welcher Rolle würden Sie immer Ihr Herzblut geben?
R.M: Gerne würde ich nochmals den Theatermacher von Thomas Bernhard spielen.
M-E: Der Zufall spielt im Leben eine große Rolle. Welcher kam Ihnen mal zur Hilfe?
R.M: Die Premierenfeier von Judith am Schillertheater im März 1987, wo ich meine zukünftige Frau, die Autorin Elfriede Müller kennenlernte.

M-E: Ich weiß, Sie arbeiten an Ihrer Autobiographie. Solche Erinnerungen fügen viele Elemente des Lebens zusammen. Worauf richtet sich Ihre besondere Aufmerksamkeit? Auf Deutung der eigenen Arbeit an den als Schauspieler ausgefüllten Rollen? Oder ist es Lust und Freude am Erzählen von dem Gelebtem, von Begegnungen?

R.M: Wie jeder aus unserem Gewerbe weiß, ist das Theater ein vergängliches Geschäft, das von der Lust und Lebendigkeit des Augenblicks lebt. Mich interessiert eher die „Zeitgenossenschaft“ des Theaters meiner Generation der 70iger bis 80iger Jahre, in denen das Theater – nach meiner Meinung – eine politisch relevante Blüte erlebte und durch die 68iger Bewegung im Westen und dem Fall der Mauer 1989 im Osten eine Ästhetik des Widerspruchs zu den jeweils herrschenden Verhältnissen entwickelte und damit die gesellschaftliche Debatte um Macht- und Rechtsverhältnisse beförderte oder diese in Frage stellte. Dabei bemerke ich, wie sehr man beim Schreiben über die bloße Faktizität hinauskommt und längst verdrängte Begegnungen und Eindrücke aus der Kindheit ganz unerwartet hell und präsent werden. Meine Erinnerungen haben den Titel eines alten Bergmannspruches aus dem Ruhrgebiet: „Vor der Hacke ist es immer dunkel“. Bisher habe ich 200 Seiten bis zum Jahr 1990 geschrieben. Ich gehe beim Erzählen Umwege und halte mich bewusst nicht an die Chronologie. Da ich in diesem Jahr mein 50igstes Bühnenjubiläum feiere, habe ich mir vorgenommen, bis Ende dieses Sommers zum Abschluss zu kommen und das Werk, das für meinen Sohn gedacht ist, bei Gefallen zu veröffentlichen.

 

 

M-E: Im Lauf seiner Geschichte hat sich das Theater mit vielem Neuen auseinander zu setzen gehabt. Man nannte die Psychologie als seinen Untergang, machte die Bühne im epischen Theater zum Podium, führte Performance und Happenings ein und will jetzt die Spielräume des Digitalen für das Theater nutzbar machen. Im Staatstheater Augsburg ist schon die Stelle einer Digitalbeauftragten eingerichtet. Wie schätzen Sie die digitale Innovation ein? Werden die Schauspieler uns noch mit ihrer Energie unmittelbar in ihren Bann ziehen?  

R.M: Mit dem digitalen Theater kann ich gar nichts anfangen, es sei denn dass ich nochmals gestreamte Aufführungen der Schaubühne oder des Hamburger Schauspielhauses ansehen kann, die einen persönlichen Erinnerungswert haben. Den Zauberberg, den das Deutsche Theater vor Wochen gestreamt hat, habe ich nach 15 Minuten abschalten müssen, weil sinnloses theatralisches Geschrei und aufdringliches Gemächer für mich gesundheitsschädigend oder ein Fall für die Theaterpolizei ist. Das Theater krankt seit geraumer Zeit unter der Profilsucht von Regisseuren/innen, die sich auf dem engen Regiemarkt mit Skandalen und Willkürlichkeiten zu übertrumpfen suchen, damit sie im Gespräch bleiben. Die Ensembles schrumpfen auf Grund der Einsparungen im Kulturbereich und werden nach der COVID 19 Krise noch weiter schrumpfen. Der Tod des literarischen Theaters wird ja allenthalben verkündet, und die Bühne als Ort der Propaganda und Gesinnungsmache hat Konjunktur. Psychologie oder die Darstellung eines differenzierten Charakters ist derzeit nicht gefragt, und anstatt die verordnete Corona Pause zum Innehalten und zur Überprüfung von Inhalten zu nutzen, die das ausbleibende Publikum ans Theater binden könnten, schlägt man sich die Zeit mit selbstzerfleischenden Gender- oder Diversitätsproblemen tot. Jetzt bin ich ein weißer alter Mann, das ward mir schon an der Wiege ……..  

M-E: Schade, Herr Mautz, dass wir zum Schluss kommen müssen. Aber schön, dass es eine Fortsetzung geben wird. Sie wollen vor Ende des Jahres mit Ihren biographischen Aufzeichnungen abschließen. Wir freuen uns, dass Sie versprechen, dann Lesungen abzuhalten. Orte und Termine werden wir sehr gerne bekannt geben.


Bad Godesberg Mai 2021, Titelfotos Thilo Beu Theater Bonn, Bilder Privat, Bilder Galerie + Lesung A. Biller