Talente Alois Reinhardt

Alois Reinhardt -malt wie er spielt-

A Bi
Ich traf Sie als bildenden Künstler erstmalig auf Instagramm. Natürlich kannte ich Sie als „Bonner Theaterpreisträger“ 2020, verliehen von den FdS, als sehr körperlich agierenden Schauspieler in beeindruckenden Rollen. „Er malt, wie er spielt“, mein erster Gedanke, körperlich, atemlos, energetisch. Klären Sie uns auf, wie schaffen Sie es,  neben Ihrem kraftraubenden Agieren als Schauspieler noch als ernstzunehmender Maler unterwegs zu sein und wie kam es dazu.

A R
Am Ende ist es in meinen Augen immer eine Frage der Leidenschaft und der Verbindung zu seiner Vision, wie und für was wir unsere Energien einsetzen. Wenn wir unsere Energie da hineingeben, was uns inspiriert, wofür wir brennen, wo wir einen Sinn erkennen, dann scheint die Energie, die wir investieren, uns wie in einem Kreislauf gleichzeitig auch zu nähren, da sie ja nicht verpufft, sondern in Form eines Austausches oder in der Form des Produktes, was wir kreiieren, Kraft zurückgibt. Wie eine Rückkopplungsschleife, eigentlich das, was wir als regenerative Energie beschreiben, so empfinde ich es, wenn ich in kreativen Prozessen bin, eine der nachhaltigsten Energieformen für mich, da es eine Kreislaufbewegung ist … ich gebe ja nicht nur, die Energie geht ja nicht verloren, sie verwandelt sich nur und kommt, in Form einer Begegnung, einer Ensembleerfahrung oder in Form eines Bildes, eines Happenings zurück. In meiner Erfahrung gibt es zwei Kräfte, die nicht weniger werden, je öfter wir sie nutzen … das ist die Kreativität und die Erotik, zwei Triebkräfte, die ja auch in der Natur die stärksten Kräfte sind und den ganzen Laden zusammenhalten. Da wir ja auch Natur sind und uns mit dieser Energie, die ja ständig am Werk ist, verbinden, haben wir unendlich viel Energie zur Verfügung, da sie sich ständig verwandelt, transformiert und sich dadurch regeneriert. Es gibt den Begriff der “ständigen Schöpfung”, das ist eine Evolutionstheorie, die mich stark fasziniert. In dieser Theorie gibt es keinen Anfang und kein Ende und keine Zeit, alles entsteht und vergeht jeden Augenblick; Geburt und Tod im ständigen Wechselspiel, ewiges Momentum,  so gibt es keine lineare Entwicklung, sondern eine sich ständig selbst neu definierende Realität, die zu keinem Zeitpunkt beständig ist, sondern immer kreiert wird und wieder vergeht. „Wenn es keine (ewige) Wahrheit gibt, ist es (ewig) wahr, dass es keine (ewige) Wahrheit gibt.  Mein starker Drang in mir, mich auszudrücken und nicht sichtbare Räume zu erkunden. Das, was zwischen den Zeilen liegt, zu erforschen, das, was wir erfahren, aber nicht fassen können, zu erkunden, war immer eine Sehnsucht in mir … ziemlich früh hat mich deswegen die Kunst angezogen, ich hatte früh Erfahrungen und Begegnungen mit Künstlern und mich hat es immer fasziniert, wie vielfältig und unterschiedlich diese kreativen Menschen die Welt interpretierten, Themen und Innenräume erforschten und es in mannigfaltigen Umsetzungen sichtbar machten. Ich hatte schon mit 12, als ich als Kinderschauspieler in einem Theater mitgewirkt habe, meinen  Traumberuf gefunden. Als ich mit diesen Schauspielern auf der Bühne stand, konnte ich es nicht glauben, das dies ein richtiger Beruf ist. Sofort wurde mein Berufswunsch geboren, das Ziel war klar. Ich wollte mich körperlich ausdrücken in einem Umfeld, das alle Künste vereint – dem Theater: Ich habe entdeckt, dass ja alle Künste sich in diesem Ort vereinen: Mode, Design, Musik, Literatur, Architektur, Tanz, Schauspiel, Sprache, Gesang, Bildende Kunst, alle Künste arbeiten gemeinsam an einer Sache. Das hat mich fasziniert. Um den Beruf des Schauspielers auszuüben, hätte ich aber länger in die Schule gehen müssen und einige Wesensanteile in mir waren stets sehr unterfordert in der Schule und ich wollte immer ausbrechen aus diesem statischen System (wie ich es erlebte). Ich wollte andere Erfahrungen machen, als in der Klasse sitzen und zuhören … ich hatte einen starken Drang, meinen Körper in Bewegung zu setzen und mich emotional und spielerisch auszudrücken. Ich wollte mich auf eine andere Art weiterbilden, ich wollte sinnliche Erfahrungen und praktische Erlebnisse … keine abstrakte Theorie … da hat mir meine damalige Berufsberaterin, die meinen Berufswunsch kannte, von der Theatermaler-Lehre erzählt, ich wusste nicht, dass es diesen Beruf gibt und da sie meine Leidenschaft zu malen und zeichnen und mich künstlerisch auszudrücken, kannte, hat sie mich auf die Idee gebracht, an einem Theater eine Lehre zu machen, um den Betrieb kennenzulernen und dann herauszufinden, ob der Beruf des Schauspielers immer noch meinem Wunsch entspräche. Ich habe direkt eine Lehrstelle bekommen und mich über ein Jahr in einer Kunstschule vorbereitet. Dieses Jahr hat mich nachhaltig geprägt, da wir mit den unterschiedlichsten Materialien und Stilen arbeiten konnten, uns sehr lebhaft ausprobieren, unsere persönlichen Talente entdecken und entfalten konnten. Eine wunderbare Spielwiese für kreative Menschen.  Es war eine Erforschungszeit, in der ich mein Zuhause gefunden habe. Während der Lehre war ich auf vielen Proben und habe mir alle Premieren angeschaut und übers Observieren habe ich sehr viel über den Beruf des Schauspielers und über das Theater als Betrieb kennengelernt und gleichzeitig habe ich die Grundlagen zu unterschiedlichen Maltechniken, Kunst und Kulturgeschichte, Materiallehre etc. erlernt und ich konnte so dieses Handwerk verinnerlichen und hatte dadurch genau das, was ich mir wünschte: praktische, reale Auseinandersetzung und direkte Erfahrung.

A B
Auf welchem Nährboden sind Ihre künstlerischen Talente, das Schauspiel und die Malerei, gewachsen – Kindheit und Familie, Freunde oder Lehrer? Wir sind gespannt auf Ihre Antworten.

A R
Ich bin in einer sehr grossen Familie mit fünf Geschwistern auf einem Demeter-Hof in der Schweiz, den meine Eltern aus ideologischen Gründen gegründet haben, aufgewachsen. Alle meine Geschwister haben auch künstlerische Laufbahnen eingeschlagen: Goldschmied, Schriftsteller, Musikkonservatorium für klassische Gitarre, Tanz und Choreographie, Grafiker, wir alle waren auf der Waldorfschule und ich denke, die künstlerische Förderung und Ausrichtung hat uns  als Kinder bestimmt stark geprägt. Mein Vater war selbsternannter Bauer (er stammt aus einer akademischen Familie) und hat seine tiefe Sehnsucht zu malen, parallel dazu verfolgt und, als wir den Hof aufgaben, hat er sich ausschließlich der Malerei gewidmet und als Künstler sein Geld verdient.  Meine Eltern haben das Kreative in uns immer gefördert und geschätzt. Später in meiner Jugend hatte ich einen sehr guten Freund, der bildender Künstler werden wollte (und nun auch ein sehr renommierter Künstler ist) und in seinem umgebauten Dachstock hat er an vielen Projekten geforscht und  unterschiedliche Objekte und Projekte verwirklicht, wir haben viel Zeit miteinander verbracht und uns über Kunst und Gesellschaft und dem Streben nach dem tieferen Sinn des Künstlerdaseins ausgetauscht und Projekte zusammen gemacht, diese Freundschaft hat viele Horizonte geöffnet. Dann hatte ich einen Lehrer, der Schriftsteller und Performer war, der mich sehr faszinierte und mich ermutigte, meinen wilden – damals noch ungeformten, unbändigen Drang, mich auszudrücken, zu verfolgen. Es waren immer direkte, nahe Begegnungen und Menschen, die mir Türen und Fenster öffneten und Zugänge ermöglichten, meinem tiefen Drang eine Gestalt zu geben und dafür zu gehen und zu kämpfen. Also von allem ein bisschen: Familie, Freunde, Lehrer. Reale Menschen eben. H R Als Theatermaler gestalteten Sie großflächige Landschaftsprospekte. Besonders gern erinnern Sie sich an Ihre Arbeit für “La Bohème”. An welchen Theatern zeigten Sie damals eigene Bühnenbilder? Sie sagten, es habe damals 6 Stellen für Theatermaler in der gesamten Schweiz gegeben, und Sie erhielten eine davon. Wie lange haben Sie diese Tätigkeit ausgeübt? A R Ich habe diesen Beruf vier Jahre lang ausgeübt. Als ich die Diplomprüfung absolviert habe, habe ich mich gleichzeitig an Schauspielschulen beworben und in derselben Woche, in der ich das Theatermaler-Diplom erhalten habe, bekam ich eine Zusage zum Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater in Bern. Das war die glücklichste Zeit, ich hatte die Lehre erfolgreich mit Diplom abgeschlossen und gleich ging die Türe auf, auf die ich innerlich seit Jahren hingearbeitet habe. Und mit der praktischen Ausbildung in der Tasche habe ich erstmal der Malerei den Rücken gekehrt und habe mich vollkommen dem Schauspielstudium, meinem primärem Berufswunsch, hingegeben.

HR
Sie erwähnten eine persönliche Schaffenskrise von 6 – 7 Jahren, in der Sie nicht malen konnten. Danach hätten Sie sich aber “aus der Krise heraus gemalt”. Wann geschah das?

A R
Nach meinem Diplom als Theatermaler habe ich direkt mit dem Schauspielstudium angefangen, habe mich komplett in diese Ausbildung gestürzt und keinen Strich mehr gemalt. Auch in dieser Zeit war ich sehr viel mit bildenden Künstlern unterwegs und mich hat diese Welt auch nach wie vor stark fasziniert und begleitet, aber ich hatte mich für das Schauspielen entschieden und damals nicht beides gleichzeitig ausüben können und wollen. Ich hatte das klare Ziel, die darstellende Kunst zu ergründen und zu durchdringen. Ich war sehr ehrgeizig darin, da ich meine innere Ausrichtung schon so lange darauf fokussiert hatte, bis ich 2013 eine persönliche Krise hatte und angefangen habe, über Zeichnungen in meinem Tagebuch meine Gefühlszustände auszudrücken … dies hat mir sehr viel gegeben, da ich durch das Zeichnen einen Ausdruck fand, innere Prozesse in Bewegung, in eine Bildsprache, in einen Diskurs zu bringen und ab diesem Zeitpunkt habe ich die Malerei wieder aufgenommen und weiterentwickelt.

H R
2007 – 2011 waren Sie am Deutschen Theater in Göttingen engagiert und seit 2013 treten Sie am Bonner Schauspielhaus pro Spielzeit stets in  mehreren unterschiedlichen Stücken auf. Haben Sie in Göttingen und seither in Bonn parallel zu Ihrer Schauspiel-Tätigkeit gemalt?

A R
Nach dem Engagement in Göttingen war ich zwei Jahre lang in Berlin, habe in der freien Szene gearbeitet und mich in unterschiedlichen Projekten ausgelebt und neu erfahren und in dieser Zeit habe ich auch wieder angefangen, zu malen und die Verbindung von bildender Kunst und Performance zu erforschen. Doch die Initialzündung war, als ich im Theaterstück “Die Nibelungen” / Regie: Thorleifur Örn Arnarsson / Volker den Spielmann verkörpert und live auf der Bühne während jeder Vorstellung ein neues Bild gemalt habe. Da ist auf einmal etwas entstanden, wo ich gespürt habe, ah, da kommt das zusammen, was ich im Inneren immer gesucht habe: die Verbindung von bildender Kunst und Performance. Daraus ist die Ide, Live_Painting_Performances zu realisieren, geboren und es hat sich der Kreis geschlossen, meine beiden Leidenschaften zusammenzuführen. Gleichzeitig war und bin ich fasziniert von der japanischen Tanzform Butho und so habe ich begonnen, den Körper als Instrument einzusetzen, das tanzend Spuren hinterlässt, die zu einem Gemälde werden

H R
Malen Sie kontinuierlich zur Theaterarbeit oder sporadisch, etwa um abzuschalten und zu regenerieren? A R Meine Malphasen sind sehr unterschiedlich, ich male aber hauptsächlich, wenn ich nicht in Endproben bin. Wenn ich in einer grösseren Produktion bin, dann fliesst meine ganze kreative Energie in die Figur, den Stoff, das Team, da bin ich in einem gemeinsamen künstlerischen Prozess und stelle dieser Produktion meine ganze Energie zur Verfügung … und da fehlt mir dann oft der  Raum und die Muße, um zum Pinsel zu greifen.  Der Lockdown  zum Beispiel hat mir viele Möglichkeiten zum Malen gegeben. H R Welches sind Ihre künstlerischen Vorbilder und stilistischen Vorlieben? Welches sind Ihre Lieblingsrichtungen und-maler der europäischen oder aussereuropäischen Kunst?

A R
Ich bin sehr fasziniert und inspiriert vom zeitgenössischen Tanz,  von Choreographen wie Wim Vandekeybus, Alain Platel, Peeping Tom, Meg Stuart etc. … und von der Bildenden Kunst gibt es sehr viele unterschiedliche Arbeiten und Vorbilder, die mich inspirieren: Anselm Kiefer, Mark Rothko, Neo Rauch, Jackson Pollock, Joseph Beuys, Christoph Schlingensief, Francis Bacon, aber auch alte Maler wie Goya oder Arnold Böcklin faszinieren mich … die Liste ist lang … mich fasziniert auch schon seit sehr langem die japanische Tanzrichtung Butho, wo ich mich auch parallel zu meiner Arbeit als Schauspieler weiterbilde und Workshops besuche. Ein Versuch, Butho in kurzen Sätzen zu erläutern:

Butho expandiert über die Grenzen des persönlichen Lebens, schöpft aus dem
ewig Ungeborenen, wie aus dem schon lang Gestorbenen.
Der Körper hat seine eigene Weisheit, jenseits vom biografischen Gedächtnis.
Butho handelt absichtlich geradlinigem Denken solange zuwider, bis die
Tanzenden mit dem Körper sehen lernen.
Butho sollte in der Lage sein, dem Universellen in seiner
Purheit und Abstraktheit eine Ausdrucksweise zu verleihen.

Auch die japanische Kunstphilosophie des Wabi Sabi ist eine starke Inspirationsquelle:

Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte, nicht der unmittelbare Glanz der Sonne, sondern der gebrochene des Mondes. Der bemooste Fels, das grasbewachsene Strohdach, die knorrige Kiefer, der leicht berostete Teekessel, das und Ähnliches sind die Symbole dieses Schönheitsideals. Es geht um die Hoheit, die sich in der Hülle des Unscheinbaren verbirgt, die herbe Schlichtheit, die dem Verstehenden doch alle Reize des Schönen offenbaren.

Mit Hilfe der Kunst können wir Aspekte der Welt erkennen, für die es keine Begriffe gibt, für die wir also ohne Kunst kein Bewusstsein hätten.

H R
Wie würden Sie die Motive und den Stil Ihrer Anfangsjahre beschreiben?

A R
Da ich beim Malen keine konkreten Motive vor mir habe, sondern mich eher von einem Zustand einer inneren Bewegung, einer Frage, einem Erleben,  intensiven Erlebnis einer Sehnsucht, einer Frage, einem Impuls leiten lasse, versuche ich, sehr aufmerksam zu sein, was sich während des Malens für ein Motiv zeigt. Ich versuche, es im Prozess des Tuns herauszuschälen und auszuloten, dieses Gefühl zu sezieren und aufmerksam zu beobachten, was sich da zeigen möchte. Ich nehme mir immer wieder vor, abstrakt zu bleiben, aber irgendwie zeigt sich immer wieder der Körper und Körperformen, der Körper ist wohl meine stärkste Faszination, ästhetisch und auch im Erleben der Körperlichkeit und das Kennenlernen der so vielschichtigen Körperwelten, die sinnliche Erfahrung, verkörpert zu sein, und immer ist es auch einfach eine Annäherung an den Körper, der, je mehr man ihn erkundet, umso reichhaltiger und komplexer wird. Das Erleben in und mit dem Körper wird mich wohl immer faszinieren, da gibt es kein Ende … die Rückkopplungsschleife, da ist sie wieder, je mehr ich mich mit dem Körper auseinandersetze, umso stärker entdecke ich neue Räume und Ebenen und ich werde immer wieder an neue Herausforderungen hingeführt, die ich gierig und leidenschaftlich entschlüsseln möchte, sei es mit Bewegung oder der Auseinandersetzung mit der Ästhetik, der Formen, der Sprache des Körpers. Dieses Motiv wird mich noch lange begleiten, da es noch so viel zu erkunden und zu entdecken gibt, im Agieren und Bewegen, wie im Malerischen, Spielerischen zu untersuchen.

H R
Seit wann bedienen Sie sich  Ihrer hochexpressiven-phantastichen figurativen Bildsprache? Sind Ihre Arbeiten eine Auseinadersetzung mit der Malerei der “Neuen Wilden”, die sich in den 1980er Jahren in mehreren westdeutschen Städten etablierte?

A R
Ihre Frage lässt mich intensiv darüber nachdenken. Wenn ich die “Neuen Wilden” studiere, erkenne ich sehr viele Parallelen und eigentlich wäre dies meine Zeit gewesen. Aber ich habe mich eher an Butho und der japanischen Kunstform Wabisabi orientiert. Auch Künstler wie Schlingensief oder Joseph Beuys haben mich stark geprägt und gleichzeitig hatte ich immer einen starken Drang, mich selber zu positionieren, meine Erfahrungen und Inspirationen mosaikartig in mir zu vereinen und meinen eigenen Ausdruck zu finden. Ich habe immer versucht zu vermeiden, Künstler oder Kunstrichtungen zu imitieren oder in deren Fußstapfen zu treten. Doch je älter ich werde, desto mehr kann und muss ich mir eingestehen, dass sich vieles wiederholt und wir alle uns gegenseitig inspirieren, voneinander Elemente aufnehmen und anders verwenden. Diesen Anspruch, ein unverkennbarer, außergewöhnlicher Künstler zu sein, hat sich etwas entspannt, worüber ich froh bin. Ich ehre meine Vorbilder und Inspirationen und erkenne immer klarer, dass es nicht um das Alleinstellungsmerkmal geht, sondern um das commitment, wie man sich seinen Fähigkeiten und Sehnsüchten stellt und wie konsequent wir sie verfolgen und da bin ich um all diese Künstler, die radikal und hingebungsvoll ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen und sich ihren eigenen Weg erschaffen, dankbar, da sie mir dank ihrer Inspiration so viele Türen und Welten eröffnen. Egal, was wir tun, es ist immer eigen und einzigartig in seinem Ausdruck, so wie wir als Menschen unanzweifelbare Unikate sind, so ist es auch unser künstlerischer Ausdruck. So entspanne ich mich immer mehr und geniesse die Vielseitigkeit und bin dankbar, dass ich mit meiner Leidenschaft mein Leben bestreiten kann.

H R
Ihre bildkünsterlichen Arbeiten sind in einem spontan-unbärdigen, hochemotionalen und -erotischen Duktus in überwiegend stark konturierter, grellfarbiger Sprache geschaffen. Sind nicht im Grunde Ihre Tanzideen und -entwürfe die Konkretisierung Ihrer tänzerischen Visionen?

A R
Ja, durchaus ist meine Faszination des Körpers eines der stärksten Motive, mich auszudrücken. Aber es gibt auch unterschiedliche Auseinandersetzungen, das eine ist die bildnerische Umsetzung, die ästhetische Untersuchung, das andere ist die leibliche, die verkörperte als Schauspieler in der flüchtigen Welt der Erfahrung. Und um diese Welten zu vereinen, entwickelte ich diese Form der Live_Painting_Happeninge … wenn ich performe und meinen Körper tanzend als Instrument einsetze, vereint sich mein emotionaler Ausdruck mit der bildnerischen Sprache und am Ende bleibt ein Zeugnis der Performance, des vergänglichen Moments, des emotionalen Ausdrucks mit der Form eines Bildes, das durch die Live-Aktion mit dem Körper und meiner Bewegung gemalt wurde. Spuren interessieren mich sehr, da ich als Schauspieler ein so flüchtige Kunst ausübe, die immer im Entstehen und Vergehen ist, sie ist nicht festhaltbar, man teilt einen Moment mit dem Zuschauer und den Kollegen, dann ist er unwiderrufbar vergangen und nur noch als gemeinsame Erfahrung in uns vorhanden. Ein Bild bleibt. Der momentane Ausdruck wird festgehalten und bleibt in Gestalt einer Farben- und Formen-Komposition vorhanden und der Dialog mit diesem Objekt kann immer wieder von neuem einsetzen und sich auch verändern.

Vorgespräch zu unserem Interview mit Alois Reinhardt im Januar 2022

H R
In welchen Techniken arbeiten Sie am liebsten? Sie erwähnten, vorzugsweise sei es ein Gemisch aus Acryl und Öl. Und warum?

A R
Acryl trocknet ziemlich schnell und ich kann es immer wieder übermalen, da ich sehr schnell arbeite und nicht allzu lange an einem Bild arbeite. Da ich die Spontanität und das “In-Bewegung-sein” im Bild ausdrücken möchte,  ist Acryl das Mittel der Wahl. Da ich aber die Leuchtkraft und Farbintensität von Ölfarben so faszinierend finde, benutze ich, wenn ein Malprozess zum Ende kommt, Ölfarben, um gewisse Stellen nochmals kräftiger mit der Farbkraft der Ölfarben herauszuholen.

H R
Haben Sie Ihre freien Arbeiten bereits in Ausstellungen gezeigt? Wenn ja, wo? Haben Sie den Wunsch, einmal eine Einzelausstellung zu realisieren?

A R
Ich habe einmal meine Werke, die ich auf der Bühne gemalt habe, in einem Container vor dem Theater ausgestellt und eine Live_Painting_Performance im Bonner Kunstverein gemacht. Aber eine Einzelausstellung habe ich noch nicht realisiert. Ich arbeite aber daran und strecke meine Fühler Richtung Galerien und Ausstellungsräumen aus. Ich habe nun das Gefühl, dass ich bereit dazu bin. Lange habe ich gezögert und nur für mich gemalt, aber nun möchte ich raus mit meinen Bildern und sie in den Dialog mit dem Betrachter bringen.

aloisreinhardt.com

lieber Alois Reinhardt, wir danken Ihnen für die Bereitschaft und die Zeit, sich unseren Interviewfragen gestellt zu haben. Mit Ihren ausführlichen  und offenen Antworten konnten wir Ihrer spannenden Gedankenwelt folgen, A.Bi.

Das Interview wurde geführt von Dr. Hildegard Reinhard u. A.Biller.Die Fotos wurden uns von Alois Reinhardt zur Verfügung gestellt, Bilder zum Vorgespräch A.Biller/Feb.2022

aloisreinhardt.com