Talente Cheryl Mc Intosh

Cheryl Mc Intosh

Durch Sabine Mann, die wir bereits mit Ihren Buch Skulpturen auf unserer Seite portraitierten. erhielt ich einen Hinweis sich doch einmal mit der in Bad Godesberg lebenden Künstlerin Cheryl  Mc Intosh zu befassen. „eine interessante Künstlerin und Frau“ wie sie meinte. Im Mai diesen Jahres besuchte ich Frau Mc Intosh erstmalig in Ihrem kleinen Atelier in Bad Godesberg Schweinheim und erlebte eine lebendige und inspirierende Künstlerin am Ort Ihres Schaffens, inmitten Ihrer Werke.
Farbgewaltige,  aber auch dunkle, meist großformatige Bilder, die einen nicht gleich gefangen aber auch nicht unberührt lassen und wie sich im Interview, dass Frau Dr. Hildegard Reinhardt mit Cheryl Mc Intosh führte, herausstellte, eindringliche Botschaften vermitteln. Angela Biller  

HR
Welchen Beruf und wie lange übten Sie ihn vor Ihrer Beschäftigung mit der Malerei aus?
CM
Ich habe Betriebswirtschaft studiert und später noch einen Master in Entwicklungsplanung erworben. Insgesamt war ich vierzehn Jahre hauptsächlich als Betriebswirtin tätig.
HR
Wann erhielten Sie als Raumplanerin ein Stipendium des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes und wie lange waren Sie in Afrika (Benin, Tunesien und Ghana) in dem Beruf tätig?
CM
Auf meine Bewerbung erhielt ich in 1989 das DAAD Stipendium um meinen Master an der TU Dortmund und ihrer Partneruni in Kumasi, Ghana abzuschließen. In Ghana bin ich dann noch 4 weitere Jahre geblieben und habe als Beraterin für internationale Organisationen und auch ghanaische Initiativen gearbeitet. Später bin ich aus familiären Gründen nach Benin umgesiedelt und habe von dort aus sechs weitere Jahre meine Beratungstätigkeit verrichtet. Mit Beginn des arabischen Frühlings, in 2010,  lebte ich weitere vier Jahre in Tunis. Das war eine spannende Zeit und ich habe hauptsächlich ehrenamtlich mit Fraueninitiativen gearbeitet.
HR
Sie sind in Jamaika geboren und aufgewachsen. Hatten Sie in Westafrika angesichts der Geschichte der Sklaverei und des Sklavenhandels Ihrer Vorfahren, mit der Sie dort plötzlich konfrontiert wurden, eine Art “Erweckungserlebnis”?
CM
Das war eigentlich kein wirkliches Erweckungserlebnis. Schon als Kind habe ich immer wieder mit  Rassismus und Apartheid beschäftigt. Im Geschichtsunterricht wurde der transatlantische Sklavenhandel nur kurz abgehandelt. Wenn man in Jamaika aufwächst, ist die Sklaverei kein Thema, mit dem man sich besonders auseinandersetzt. Aber in unserer Kultur spielt die Musik eine besondere Rolle, die auch sehr sozialkritisch sein kann. Dadurch waren und sind Themen wie Ausbeutung und Sklaverei ständig präsent. Als ich dank des DAAD das erste Mal nach Afrika kam und in Ghana landete, überkam mich ein bisher unbekanntes Gefühl von Freiheit. Ich kann mich noch ganz genau erinnern an dieses Gefühl der Ehrfurcht, das Kribbeln auf meiner Haut und den Gedanken: „Hier hat alles begonnen, hierher kommen meine Vorfahren!“ Das war so ein Gefühl von „Ankommen“.
HR
Wie äußerte sich das? Haben Sie daraufhin sofort beschlossen, Ihren erlernten Beruf aufzugeben und Ihre Erlebnisse in Malerei umzusetzen?
CM
Eigentlich war das ein längerer Prozess. Nach meinem Master’s Degree bin ich aus privaten Gründen in Afrika geblieben und weil man nicht so ohne Weiteres eine Arbeitserlaubnis bekommt; habe ich mich als freie Beraterin etabliert und gleichzeitig auch sehr viel ehrenamtlich gearbeitet. Zeichnen, Malen und Tonarbeiten war eher nur ein Hobby nebenbei. Mein Eintritt in das aktive Leben einer Künstlerin und Malerin war eher ein Zufall. In Tunis hatte ich mich für die Bildhauerei und Keramik eingeschrieben. Erst nach dem plötzlichen Tod meines Lehrers fing ich formal mit dem Studium der Malerei an.

HR
Wie gestaltete sich Ihre Begegnung mit der Geschichte der Sklaverei – in Gesprächen mit Nachfahren der Opfer, mit Bürgerrechtlern, historische Fotografien oder dem Besuch des Mandela-Gefängnisses in Robben Island?
CM
Meine Suche nach einem besseren Verständnis der Sklaverei begann mit dem Besuch der historischen Orte in Ghana und Benin. Dazu gehörten die Festungen, über die die Europäer Sklaven für ihre Goldminen in der damaligen „Goldküste“ importierten und später Sklaven für ihre Plantagen in Amerika und der Karibik exportierten. In Ghana alleine gab es etwa 40 solcher Handelsposten. Das bekannteste ist das Cape Coast Castle. Aber auch der heutige Präsidentensitz in Ghana war eine solche Festung. Man spricht auch heute nur vom „Castle“, wenn man das Präsidialamt erwähnt. In Benin ist der Hafen von Ouidah am bekanntesten. Dort steht auch ein Denkmal für die Verschleppten: The Door of No Return – das Tor durch, das es keine Rückkehr gibt. Aber erst später, als ich mit der Malerei begann, habe ich mich sehr viel intensiver mit diesem Kapitel der Geschichte befasst und in die Fachliteratur studiert, Romane und Gedichte dazu gelesen, geforscht, wie die Kunst das Thema verarbeitet, historische Fotos gesammelt, Museen besucht etc. Zu der Zeit habe ich dann auch erst die Gelegenheit bekommen, Mandela’s Gefängnis auf Robben Island zu sehen und zu spüren.
HR
Wo erhielten Sie Ihren ersten Kunstunterricht? Wie gestaltete er sich? Setzten Sie ihn später fort oder bildeten Sie sich autodidaktisch weiter?
CM
Außer in der Schule habe ich erst ab 2011 in Tunis systematisch mit dem Kunstunterricht begonnen. Wie gesagt, fing ich erst mit der Bildhauerei und Keramik an und habe dann bei etwas mehr als zwei Jahre lang bei Sandhya Sharma klassische Malerei gelernt. Nach meiner Rückkehr nach Bonn habe ich mich 2016 an der Alanus Hochschule in Alfter eingeschrieben und dort das einjährige Ausbildungsprogramm „Ein Jahr für die Kunst“ absolviert. Seither habe ich mich ausschließlich autodidaktisch weitergebildet. Aber wenn die Pandemie einmal vorüber ist, möchte ich gerne noch eine professionell betreute Fortbildung in Bildhauerei wahrnehmen.
HR
Welches sind Ihre künstlerischen Vorbilder?
CM
Für mich gibt es keine Vorbilder im eigentlichen Sinne. Ich bin offen für alles und fast alle künstlerischen Ausdrucksweisen können mich inspirieren. Ganz spontan sollte ich vielleicht den italienischen Maler Carvaggio aus dem späten 16ten Jahrhundert nennen mit seiner für seine Zeit sehr intensive und beunruhigende realistischen Art der Bilddarstellung. Vielleicht entspricht diese Realitätsnähe sehr weit meiner eigenen Auseinandersetzung mit der Sklaverei und meinen persönlichen Gefühlen dabei. HR
Ihre tunesische Kunstlehrerin machte Sie zunächst mit den Hauptvertretern des französischen Impressionismus – mit Manet, Monet und Degas – vertraut. In deren Werken vermissten Sie jedoch die Anwesenheit von Schwarzen. Und wenn sie dargestellt wurden, wirkten sie “unterwürfig, clownesk oder dämonisch”. Das wollten Sie absolut ändern.
CM
Ja, das stimmt! Aber ich verstehe ihren Ansatz sehr gut. Ihr war es wichtig, dass ich von den großen Meistern lerne. Schließlich war es auch auch eine Ausbildung in klassischer Malerei! Trotzdem habe ich mir auch gewünscht, andere Bilder sehen zu können – andere Narrative, die schwarze Menschen in anderen Kontexten porträtieren – nicht immer nur als Dienstpersonal oder Hofnarren. Oder anders ausgedrückt: Wer waren diese Menschen? Warum wurden sie immer nur in diesen Positionen porträtiert?  Gibt es auch andere Darstellung dieser Menschen, als in der Rolle von Untergebenen? Wie würde ich selber ihre Geschichte porträtieren? Wie bringe ich das „rüber“? Ja, man hatte sie versklavt. Aber waren sie deshalb auch unterwürfig oder hatten keinen eigenen Stolz? Natürlich gibt es auch andere schwarze Menschen, für die das nicht zutrifft. Aber die hat man erst gar nicht porträtiert. Mir ist es aber wichtig, diese unterdrückten Menschen zu zeigen und ich versuche meine Vorstellung davon darzustellen, wie sie sich gefühlt haben müssen. Wenn es mir dann gelingt die Betrachter meiner Porträts dahin zu bringen, dass sie nachdenken, besser verstehen oder sogar ein wenig Empathie entwickeln, dann wäre das für mich ein Erfolg.

HR
Überwiegend in großformatigen Einzel- oder Zweier-Figuren-Bildern setzen Sie vor allem die Gesichter der angstvollen, verzweifelten Opfer von Gewalt, Unterdrückung, Einschüchterung, Ausbeutung, Gefängnisstrafen und Lynch-Morden frontal ins Bild. Eine Ihren zentralen Arbeiten ist “The Middle Passage”, die sich mit dem Schicksal Ihrer Vorfahren während des Transports von Westafrika nach Amerika auseinandersetzt, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten in der Zucker-Herstellung und auf den Baumwoll-Felder
CM
Absolut; denn das ist da, woher ich komme, dort ist meine Geschichte entstanden und die, meiner Vorfahren und die Geschichte unserer gemeinsamen Vorfahren, die vor vierhundert Jahren als Sklaven aus Afrika nach Amerika verschifft worden sind. Noch heute sind vielen von uns mental versklavt und – insbesondere in den USA – einem ständigen systemischen und institutionellen Rassismus ausgesetzt. Das schmerzt. Mit meiner Serie „The Middle Passage“ versuche ich, diese Emotionen hervorzurufen.
HR
Um die Wirkung Ihrer Acrylmalereien noch zu steigern, arbeiten Sie oft mit Rost, Ruß und. Rottönen. Welche Botschaft vermitteln Sie damit?
CM
natürlich steht Rot auch für Blut. Rost versinnbildlicht in meinen Bildern das Alte und Antike. Rost ist alt aber sensibel – und nicht tot. In der Natur ist Rost Eisenoxyd, das entsteht, wenn Eisenmetall korrodiert. Eisen reagiert mit Sauerstoff und Feuchtigkeit. Diese beiden Elemente – Wasser und Sauerstoff – waren wahrscheinlich die einzigen freien Güter, zu denen die Versklavten Zugang hatten während sie den Atlantik überquerten. Ruß entsteht durch Rauch. Rauch versinnbildlicht für mich die Seelen und Geister der Vorfahren.
HR
Sind Sie full-time und freiberuflich als Künstlerin tätig oder betreiben Sie die Malerei neben einer anderen Tätigkeit?
CM
Full-time und freiberuflich.
HR
Wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag? Arbeiten Sie jeweils an einem Werk oder an mehreren parallel? Und wie lange etwa?
CM
Ich bin 5 bis 6 Stunden an 5 Tagen in der Woche in meinem Atelier. Dort arbeite ich immer an einem oder an zwei Bildern gleichzeitig, ernähre mich mit Kaffee, höre Deutschlandfunk, Podcasts oder auch Musik. Danach runde ich meinen Tag mit zirka zwei Stunden Fahrradfahren ab.
HR Welches ist Ihre Lieblingsbeschäftigung neben der Malerei? CM Fahrradfahren und Wandern

 

 

 

 

International Contemporary
African Art Fair  London
Fotos Privat

HR
Seit wann leben Sie in Deutschland und in Bad Godesberg? Haben Sie Galerien in Deutschland und Bad Godesberg, die Ihr Werk betreuen
CM
Seit 2000 liegt mein erster Wohnsitz in Bonn und seit 2001 lebe ich in Bad Godesberg – mit zwischenzeitlichen Auslandsaufenthalten. In Deutschland vertritt mich noch keine Galerie. Ich stehe mit möglichen Galerien in Berlin in Kontakt. Zu Corona-Zeiten ist der Austausch allerdings etwas schwierig.
HR
1919/20 hatten Sie im Juridicum der Universität Bonn die spektakuläre Ausstellung “400 years – Still not free” als Gedenkausstellung an das Jahr 1619, in dem die ersten Sklaven aus Westafrika in Virginia ankamen. War das ein Durchbruch für Sie?
CM
Die Ausstellung in 2019 war nicht meine erste. Bereits in 2018 hatte ich eine privat organisierte Einzelausstellung in Bad Godesberg, die sehr gut besucht war. Im Bonner General Anzeiger bekam ich auch eine sehr gute Kritik dafür. Die Ausstellung im Juridicum war für mich natürlich noch einmal eine Steigerung mit wesentlich größeren Besucherzahlen. Der Eröffnungsvortrag wurde von Prof. Dr. Stefan Talmon gehalten, der sehr gut recherchiert war und mein Thema aus völkerrechtlicher Perspektive beleuchtete. Die Botschaft ist sehr gut angekommen. Die persönlichen Diskussionen, die ich führen konnte und zahlreiches Feedback, das ich erhalten habe, war sehr positiv, engagiert und nachdenklich.
HR
Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit in Deutschland
CM
Ich höre immer wieder: „Sehr gut!“, „… macht nachdenklich.“ „Das sind keine Bilder für das Wohnzimmer.“ „ … eher für öffentliche Ausstellungen.“ „Verstörend, beunruhigend, erschütternd…“ Wenn meine Kunst als beunruhigend beschrieben wird, erfüllt mich das mit Zufriedenheit. Das soll sie sein! Mit meiner Kunst möchte ich einen Raum schaffen für Konfrontation, Nachdenken und Anerkennung, eventuell auch für Versöhnung, Trost und Hoffnung.
HR
Wie sehen Ihre Ausstellungspläne für die nächste Zukunft aus?
CM
Im Oktober nehme ich an der International  Contemporary African Art Fair 1-54 in London teil. Das wird das erste Mal für mich in so einem großen Rahmen sein. Ich bin total neugierig.
HR
Wie kommen Sie zu Ihrem klassischen englischen Familiennamen?
CM
In Jamaika haben wir fast alle einen anglisierten Familiennamen. Die damalige britische Kolonialverwaltung hat die Namen festgelegt und registriert; oft wurden dann einfach die Namen der Plantagenbesitzer vergeben. Der Name McIntosh kommt einem Ur-Ur-Großvater in 1830.
HR
Welches ist Ihr Lieblingsplatz in Bad Godesberg?
CM
Mein Lieblingsplatz liegt am Rheinufer. Dort beobachte ich die Schwäne und Enten, blicke in die Baumkronen und den Himmel. An warmen Tagen lassen mich die sanften Wellen des Rheins sogar an die karibische See denken. Am Rheinufer kann ich durchatmen und fühle ich mich frei. Und wenn ich mich frei fühle, kommt mir immer ein Lächeln ins Gesicht.

Interview   für die Bad Godesberger Kultur & Stadt Scne führte Dr. Hildegard Reinhardt, Fotos Atelier Angela Biller, Fotos Privat