Talente Holger Figge

Holger Figge -Urban Sketcher-

AB
Lieber Herr Figge, danke für Ihren freundlichen Empfang in Ihrem lichten und mit interessanten Arbeiten  bestückten Atelier. Allein schon die Aussich von Ihrem Atelier  ins Siebengebirge ist ein Gemälde wert.
Ihren beruflichen Werdegang  beschrieben Sie als Bauingenieur in der Verwaltung. Als Laie würde ich mal vermuten, dass zeichnerisches Talent  die Voraussetzung für den Beruf des  Bauingenieurs ist. Kamen Sie über Ihren Beruf zum Malen?
HF
Besondere zeichnerische Fähigkeiten sind bei Bauingenieuren eher nicht gefragt. Sie spielen mehr beim Beruf des Architekten eine Rolle. In gewisser Weise bin ich aber tatsächlich über den Beruf zum Malen gekommen: Weil für mich wegen schlechter Abi-Noten das gewünschte Architekturstudium außer Reichweite war, konnte ich meine kreative Seite nicht über die berufliche Tätigkeit zufriedenstellen. Vielleicht habe ich auch aus diesem Grund mit der Malerei begonnen.

HR
Wann zeigten sich Ihr Interesse und Ihre Begabung für die bildende Kunst? Ihr Großvater väterlicherseits betätigte sich ja bereits als Maler. Unterstützte er Ihre ersten Versuche? Erhielten Sie Anregungen im Familienkreis oder in der Schule?

HF
Interesse am Zeichnen und Malen hatte ich schon als Kind und Jugendlicher. Mein Großvater, der neben seiner beruflichen Tätigkeit als selbstständiger Maler und Lackierer solide klassische Ölmalerei betrieb, konnte mich dabei leider nicht unterstützen, denn er starb bereits, als ich 3 Jahre alt war. Meine Eltern hatten selbst keine kreativen Ambitionen, förderten mich aber; zum Beispiel schenkten sie mir einen für damalige Verhältnisse sehr aufwändigen Ölmalkasten mit 24 Tubenfarben, einer Palette, Pinseln und Malmittel, alles in einem schönen Holzkasten. So pinselte ich damals im Alter von 14 Jahren nach der Methode „Malen nach Zahlen“ meine ersten Ölgemälde auf sogenannte Malpappen. Später habe ich meine Familie in Öl portraitiert, und in den Folgejahren während Schule, Studium und Beruf immer mal wieder Zeichnungen und kleinere Malereien angefertigt, mich aber bis 1989 nicht dauerhaft und intensiv mit der Materie beschäftigt. Der Kunstunterricht in der Schule war mein Lieblingsfach.

HR
Wie schwer fiel Ihnen Anfang der 70er Jahre Ihre Entscheidung für das Studium des Bauingenieurwesens und der Verzicht auf eine künstlerische Ausbildung? Oder war damals Ihr Wunsch nach künstlerischer Betätigung noch nicht so ausgeprägt?

HF
Zum Ende der Gymnasialzeit war ich recht unentschlossen, was die Berufswahl anging. Ich erinnere, dass ich in der Abi-Zeitung als Wunschstudium Betriebswirtschaft angegeben hatte. Nach dem Abitur hatte ich mich umentschlossen und wollte Architektur studieren, um meine kreative Seite im Beruf ausleben zu können. Weil ich aber durch einen relativ schlechten Notendurchschnitt im Abizeugnis belastet war, bekam ich über die ZVS keinen Studienplatz. Um überhaupt etwas zu machen, entschloss ich mich, als Ausweichstudium Bauingenieurwesen in Aachen zu beginnen und darauf zu hoffen, in überschaubarer Zeit über die Warteliste einen Architekturplatz zu erhalten. Nach 6 Semestern hätte ich dann in Braunschweig mit dem Wunschstudium beginnen können. Da ich aber schon kurz vor dem Abschluss des Bauingenieur-Vordiploms stand, habe ich auf einen Wechsel verzichtet und mein Studium in Aachen zu Ende gebracht.

HR
Wie gestalteten sich Ihre künstlerischen Aktivitäten neben dem Studium an der TH Aachen, das Sie 1979 mit einem Diplom und 1987 mit einer Dissertation abschlossen?
HF
Die künstlerischen Aktivitäten waren über viele Jahre nicht sehr ausgeprägt. Wenn jemand in der Familie oder im Freundeskreis zu beschenken war, habe ich häufig etwas gezeichnet oder gemalt – ein Menschen- oder Tierportrait beispielsweise.

HR
1979, also im Alter von 37 Jahren, wurde der Besuch einer Paul-Klee-Ausstellung für Sie zum entscheidenden Anlass, sich intensiv mit Öl- und Aquarellmallerei zu beschäftigen. Um welche Ausstellung handelte es sich genau?

HF
Ich lebte damals in Süddeutschland und besuchte 1989 eine Ausstellung über Paul Klee in der Tübinger Kunsthalle. Es wurde ein Querschnitt seiner Arbeiten gezeigt. Insbesondere die Aquarelle fesselten mich, und ich begann zuhause mit ersten eigenen Aquarellversuchen. Recht bald habe ich dann erste Kurse an der VHS Karlsruhe im Zeichnen und Malen besucht und mich in meiner Freizeit intensiv damit auseinandergesetzt.

HR
Welches sind Ihre bildkünstlerischen Vorlieben und Vorbilder – etwa Sam Francis, Eduard Bargheer, Horst Janssen oder gar William Turner?   Besuchen Sie regelmäßig Museen und Ausstellungen?
HF
Mich begeistern einerseits gekonnte Zeichnungen, die durch Lebendigkeit des Striches sowie spannende Komposition überzeugen. Andererseits bewundere ich technisch souverän ausgeführte Aquarelle, bei denen die schwierige Nass-in-nass – Technik überzeugt, und die gleichzeitig Freiheit besitzen und Dinge offen lassen. Die meisterhaften sensiblen bis  dreisten Arbeiten des großen Zeichners Horst Janssen bewundere ich sehr. Neben seinem Zeichengenie war er auch ein hervorragender Aquarellist. Egon Schiele und Gustav Klimt sind Künstler, deren Werke ich ebenfalls sehr schätze. William Turner, der seiner Zeit malerisch visionär um viele Jahrzehnte voraus war, hat mich sicherlich stilistisch beeinflusst. In Museen und Ausstellungen gehe ich seit vielen Jahren gern, es macht frisch, und ich bekomme Anregungen für meine Malerei.

HR
Wie gestaltete sich der Unterricht bei Hans Köhler, Stuttgart, und Bernhard Vogel, Salzburg, zwei renommierten Aquarellisten? Wie vereinbarten Sie den Unterricht mit Ihrer Berufstätigkeit? Damals waren Sie bereits tätig als Bauingenieur in Essen und Baden-Württemberg.

HF
Bei Hans Köhler habe ich in den Jahren 1993 und 1994 Abendkurse bei der VHS Stuttgart besucht. Er war ein strenger, aber hervorragender Lehrer, von dem ich in meiner Aquarelltechnik unglaublich profitiert habe. Noch heute verwende ich in meinen Kursen etliche Anregungen, Vorgehensweisen und Techniken aus dieser Zeit. Der Besuch seiner Kurse war kein Problem, da sie nach Feierabend stattfanden. Mit Bernhard Vogel habe ich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre dreimal mehrtägige Malreisen unternommen, für die ich Urlaub nahm. Während der genannten Zeit in Stuttgart und danach habe ich sehr intensiv gemalt, das in den Kursen Gehörte zuhause geübt und viele Abende, während andere vielleicht fernsehen oder ein Bier trinken gehen, mit meiner Aquarellfarbe verbracht.

HR
Welches sind Ihre bevorzugten Themen und Techniken? Veränderten sich die Prioritäten im Laufe der Zeit?

HF
Die Prioritäten, auch die Sichtweisen und Interessen haben sich im Laufe der Jahre verändert und verändern sich noch. Dies halte ich für einen bei jedem Künstler mehr oder minder zu beobachtenden Vorgang. Die Themen motivlicher Art können sich bei mir in Tagen verändern, die angewandten Techniken und Vorgehensweisen verschieben sich langfristiger. Beispielsweise interessiert mich seit vielleicht 12 oder 13 Jahren die Kombination zwischen Zeichnung und Malerei deutlich mehr als früher. So habe ich mich seither intensiv mit aquarellierten Zeichnungen, die mit Tuschfeder oder Fineliner vorgearbeitet sind, beschäftigt. Die Spannung zwischen Linie und Flächigkeit ist reizvoll. Frage

HR
Brechen Sie geplant oder spontan zu Malexkursionen in der Natur auf? Verstehen Sie sie als Anregungen, um sie dann im Atelier als Vorarbeiten mit Farbangaben für die endgültige Version zu benutzen?

HF
Bei gutem Wetter kann es passieren, dass ich mich mal spontan für 2 Stunden zuhause abmelde, weil mich draußen in der Umgebung etwas zum Malen lockt. Ein Motiv ist immer (nur) Anregung, man sollte es nie „wörtlich“ nehmen. Häufig zeichne ich unterwegs und male nach zum Teil ganz eigenen Farbvorstellungen im Atelier.

HR
Entstand z.B. Ihr Aquarell-Zyklus zu Venedig aus der letzten Zeit bereits während einer Reise vor Ort oder im Atelier? Wie lange haben Sie insgesamt für den Zyklus gebraucht?  

HF
Die neueste Venedig-Serie habe ich vor etwa 2 Jahren während etwa 3 Monaten gemalt. Ich habe die Lagunenstadt seit 1994 dreimal besucht. Die neueren Venedig-Bilder sind im Atelier entstanden und orientieren sich an Fotos. Es ist auch viel Fantasie dabei. Die Arbeiten habe ich aus dem Gedanken heraus begonnen, möglichst vielfältige Blätter durch wechselnde Aquarelltechniken anhand reduzierter, offener (das heißt, das Blatt ist nur zum Teil bearbeitet) Vorgehensweise am Motiv Venedig zu Papier zu bringen. So habe ich bei den etwa 30 Blättern über der Zeichnung mit Nass-in-nass – Techniken, Negativmalerei, Lasuren, Collage, Mischtechniken usw. gearbeitet.

HR
Arrangieren Sie Ihre Geschirr-, Flaschen- und Kannen-Stillleben exakt auf Ihrem Arbeitstisch oder sind es künstlerische Konzepte, gewissermaßen Kompositionsstudien?

HF
Ein exaktes Aufbauen von Stillleben-Gegenständen findet bei mir schon lange nicht mehr statt. Wenn ich das Thema bearbeiten möchte, reicht eine kleine Anregung für eine Bildidee aus – oft sehe ich irgendwo etwas stehen, aus dem ich dann eine Komposition und ein Farbthema entwickle.

HR
Wie lange benötigen Sie etwa für ein Aquarell und eine Zeichnung?

HF
Das kommt natürlich auf die Intensität der Ausarbeitung an. Eine Zeichnung kann in 1 Minute gemacht sein; dann ist es mehr eine Vorzeichnung zum Aquarell. Sie kann aber auch 1 Stunde dauern; dann wird das Ganze eine aquarellierte Zeichnung, bei der die Grafik sichtig und wichtig im Vordergrund steht. Wesentlich ist, dass beim Aquarellieren nicht zu lange herumgestrichen und immer wieder überlasiert wird, damit die Frische erhalten bleibt. An einem Blatt aus dem erwähnten Venedig-Zyklus habe ich vielleicht 2 Stunden gearbeitet.

HR
Ihre Bildsprache zeichnet sich durch fragile Kompositionen und hingehauchte Farbigkeit aus. Verstehen Sie Ihre Kunst der zerbrechlichen Interpretation des Gegenstands als einen notwendigen Ausgleich zu Ihrer durchstrukturierten, durchplanten und von technischem Denken dominierten Berufswelt – gemäß dem Motto “Les extremes se touchent”?
HF
Gut beobachtet! Ich denke, dass die Malerei für mich viele Jahre in der Tat (auch, aber nicht nur) eine Art Kompensation zu meiner Berufstätigkeit darstellte. Das Kreative in mir will und muss raus. Das war in meinem beruflichen Alltag, der über Jahrzehnte durch Termine, langlaufende Planungen und viel Juristisches geprägt war, kaum möglich.

HR
Seit 1995 waren Sie im Bundesministerium für Verkehr hier in Bonn tätig. Neben Ausstellungen im Südwesten Deutschlands und in Nordrhein-Westfalen hatten Sie in Bad Godesberg im “Haus an der Redoute” und im “Kurfürstlichen Gärtnerhaus” in Bonn Einzel- oder Gruppenausstellungen. Welches waren die erfolgreichsten?
HF
Bereits 1991 hatte ich die erste Einzelausstellung in der Zentrale der Badischen Beamtenbank in Karlsruhe. Damals habe ich, obwohl ja meine Malerei noch eher in den Kinderschuhen steckte, durchaus viel Zulauf gehabt und etliche Bilder verkauft. Diese frühe Ausstellung sehe ich auch heute noch als Erfolg. Die Präsentation von Landschaftsbildern im Jahr 2017 im Kurfürstlichen Gärtnerhaus in Bonn, das eine begehrte Location darstellt, war ein sehr großer Erfolg. Im Haus an der Redoute nehme ich seit 1999 an der jährlichen Gruppenausstellung „Schwarz-Weiß“ teil.

HR
Gehören Sie einer Künstlergruppe an?

HF
Nein.

HR
Als Kursleiter arbeiten Sie an der Volkshochschule Bonn und am Haus der Familie in Bonn.

HF
Seit 1996 leite ich Kurse für diese beiden Einrichtungen, und die Tätigkeit macht mir nach wie vor viel Freude. Die Kurstätigkeit habe ich nach meiner Pensionierung im Jahr 2015 noch etwas ausgebaut.

HR
Außerdem nehmen Sie an den wöchentlichen Treffs der “Urban Sketchers” in Bonn teil. Wer legt bei dieser Gruppe die Themen und Treffpunkte fest? Wie viele Personen nehmen daran teil?

HF
Die „Urban Sketchers“ sind ein loser Zusammenschluss von Menschen aller Altersklassen, die einfach nur großen Spass am Zeichnen haben. Ich selbst habe die Gruppe, die schon viele Jahre in Bonn existiert, erst vor gut einem Jahr entdeckt und bin seither fast regelmäßig dabei. In der warmen Jahreszeit trifft man sich draußen – jeweils mittwochs zwischen 18 und 20 Uhr – an ganz unterschiedlichen Zeichenplätzen in der Stadt, jetzt in den kalten Monaten gehen wir häufig in die unterschiedlichen Museen, aber auch in Gaststätten oder Kaufhäuser. Bei der Auswahl der Themen kann jede(r) mitreden. Meist verteilen sich zwischen 10 und 20 Personen zum Zeichnen im Bereich eines vorher genannten Ziels. Die genaue Zahl der aktuell Teilnehmenden wird immer erst offensichtlich, wenn man sich um kurz vor 20 Uhr zum gegenseitigen Zeigen der entstandenen Werke trifft. Ich möchte an dieser Stelle diejenigen animieren, die gern zeichnen, mal vorbeizuschauen. Es ist ein völlig zwangloser Zusammenschluss. Die Treffpunkte werden auf der Website „sketchbonn.com“ bekannt gegeben.

HR
Unter Ihren Aquarellen befinden sich Variationen zu Gemälden von August Macke, z.B. “Gemüsefelder”, 1911, und “Rotes Haus im Park”, 1914. Beide Arbeiten befinden sich im Kunstmuseum Bonn. Arbeiten die “Urban Sketchers” jeweils im Museum vor den Objekten?

HF
Den beiden Macke-Arbeiten habe ich mich während des Sketchers Treffens am 2.11.22 im Kunstmuseum zeichnerisch angenähert. Die dort entstandenen Fineliner-Zeichnungen habe ich im Atelier in Anlehnung an die Farbgebung von Macke aquarelliert. Im Museum ist es nicht erlaubt, mit nassen Farben zu hantieren.

HR
Sie bieten auch Sommer-Malkurse an, z.B. in Unkel, im Kloster Vinnenberg im Münsterland und Greetsiel in Ostfriesland. Wieviele Schüler melden sich bei Ihnen und wie lange dauern die Kurse?

HF
Diese Malreisen werden organisatorisch von skr, einem Kölner Reiseveranstalter, abgewickelt. Die Anzahl der Kursteilnehmenden schwankt zwischen 4 und 14, die Anzahl der Maltage beträgt 4 oder 6, je nach Reiseziel. Das ist ziemlich intensiv, es wird pro Tag etwa 5 bis 6 Stunden gemalt.

HR
Welches sind Ihre nächsten Ausstellungsprojekte?

HF
Ich habe mich für eine Einzelausstellung im Bad Godesberger „Haus an der Redoute“ beworben; eventuell kann ich dort im Jahr 2024 Aquarelle und Acrylbilder zeigen. Ich muss gestehen, dass ich in den letzten Jahren bezüglich Ausstellungstätigkeit etwas zurückhaltend war.

HR
Welche Hobbys pflegen Sie neben der Malerei? Welches sind Ihre Lieblingsplätze in Bad Godesberg?

HF
Wir haben 3 Hunde, um die sich zu kümmern uns große Freude macht. Dazu kommt ein großer Garten, der bearbeitet werden will. Mit diesen Themen fühle ich mich zusammen mit der eigenen Malerei und den Kursen gut ausgelastet. In Godesberg bin ich seit 1995 zuhause. Wohnung und Atelier befinden sich seit 2004 auf dem Heiderhof, wo ich mich sehr wohlfühle, weil viel Grün im Umfeld zu finden ist. In Godesberg bin ich sehr gern in der Nähe der Godesburg und des Burgfriedhofs; beide habe ich schon häufig malerisch „verarbeitet“.

Ein Lieblingsplatz ist mein Stammitaliener an den City-Terrassen.

das Interview führte Dr. Hildegard Reinhardt, Bilder A. Biller, Bilder Holger Figge Homepage www.holgerfigge.de