Talente Irene Rothweiler

Malen mit Glas -Irene Rothweiler-

A.B.
Nicht ohne Grund trafen wir uns zum Interview in der Villa Godesberg! In dieser wundervoll restaurierten Gründerzeitvilla in Bad Godesberg bekommen die Gäste des Boutique Hotels schon beim ersten Frühstückscafé gute Laune. Farbenfrohe, prächtige Glasfenster vermitteln mit dem einfallenden Tageslicht ewigen Frühling. Hier kann man nur fröhlich gestimmt den Tag beginnen. Warum, liebe Frau Rothweiler, trafen wir uns an diesem Ort? Können Sie uns etwas über das Haus und die Entstehungsgeschichte dieser schönen Fenster erzählen?
I.R.
Im Jahr 2008 übernahm das Ehepaar Prof. Burkhard und Friederike Sträter die Mirbachstrasse 2a und restaurierte das alte Hotel mit dem neuen Namen Boutique Hotel VILLA GODESBERG sehr aufwendig und fachgerecht. Es wurde mit den neuen Eigentümern auch zu einem öffentlichen Treffpunkt für Kultur und Gesellschaft. Das Frauennetzwerk der „Godesbürgerinnen“ begann mit Einladungen in die ‚Villa Godesberg‘. Da ich persönlich dabei war, fielen mir die schmuckvollen Jugendstilfenster auf. Aber auch diese waren in die Jahre gekommen und gefährdet, so dass Friederike Sträter mich beauftragte, sie fachgerecht ausbauen und restaurieren zu lassen. Dies geschah in der Glasmalerei Dr. H. Oidtmann in Linnich. Zugleich bot ich dem Ehepaar Sträter an, die alten Fenster zu ergänzen mit Neuschöpfungen aus meiner Hand, damit alle Fenster im Erdgeschoß künstlerisch gestaltet sind. Dies gelang zur Freude aller, die in diesem begehrten Hotel im Villenviertel Station machen.

A.B.
„Male, was Du siehst!“ dem Rat Ihres Vaters folgend, was sehen Sie, wenn Sie den Auftrag z.B. eines Kirchenfensters in die Tat umsetzen?  Wie beginnt Ihr künstlerischer Prozess?
I.R.

Mein Vater bezog es als Architekt mit seinem Rat an mich auf die richtige Perspektive. Also sollte ich das, was vor mir steht oder liegt, richtig und realistisch abzeichnen. Dieser Rat geht in meine erste künstlerische Zeit und Ausbildung zurück. Es geht bei Kirchenfenstern oft um transzendente und heilsgeschichtliche Themen für den Sakralraum. Beim Auftrag für ein neues Kirchenfenster muss ich berücksichtigen, wo innerhalb des Kirchengebäudes das Fenster liegt. Kirchen haben bereits seit dem frühen Mittelalter oft ein klares ikonographisches Programm. Danach richtet sich dann auch die Thematik meiner Fenster und ich orientiere mich gerne an diesen Traditionen.

A.B.
Bekommen Sie seitens Ihrer Auftraggeber klare Vorgaben für die Motivfindung?
I.R.

Das ist unterschiedlich, mal ja, mal nein. Aber immer werden Varianten entworfen, so dass es ein Suchen nach der besten Lösung ist. Das ist bei jedem Auftrag anders. Meistens erarbeitet man gemeinsam mit dem Auftraggeber die Thematik. Pastor Peter Heidkamp von Sankt Michael in Dormagen sagte mir beim ersten Treffen: „Ziehen Sie der Kirche ein schönes Kleid an.“ Alle Fenster der Kirche galt es, neu zu gestalten. Da hatte ich dann freie Möglichkeiten. In Sankt Joseph in Leverkusen-Manfort gab Prälat Erich Läufer das Tympanonfenster in Auftrag anlässlich seines 50. Priesterjubiläums. Er gab mir das Thema des 121. Psalms „Schon stehen wir in Deinen Toren Jerusalem“.

A.B.
Ihr organisatorisches Talent konnten wir bei der Vorbereitung unseres Gesprächs in der Villa Godesberg bemerken. Gut vorbereitet auf unser Interview, platzierten Sie eine Auswahl Ihrer Arbeiten, Skizzen und Bilder übersichtlich auf dem Konferenztisch und im großen Raum. Wie schafften Sie Ihr enormes berufliches künstlerisches Pensum mit dem Organisieren einer Großfamilie? Immerhin haben Sie mit Ihrem Mann vier Kinder großgezogen.
I.R.
Tatsächlich war die Zeit, als die Kinder klein waren, sehr anstrengend, aber auch sehr schön. Ich hatte immer Hilfe aus der Familie, sehr engagierte und hilfsbereite Großeltern, die unsere Kinder im schönsten Sinne mitgeprägt haben.

A.B.
Ein bildender Künstler erschafft sein Bild von der Vision bis zur Rahmung selber. Ihr Einfluss auf Ihr künstlerisches Schaffen, das fertige Glasfenster, ist nicht alleine von Ihnen abhängig. Sie sind darauf angewiesen, dass Ihre Vorstellungen umgesetzt werden. Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen? Und was hat es mit dem Werkkarton auf sich?
I.R.
Ja, das ist richtig. Ich zeichne den Entwurf des Glasfensters 1:10. Danach die Originalgröße 1:1, das ist der Werkkarton, bei dem ich nur den Verlauf der Bleiruten zeichne. Dann treffe ich die Glasauswahl in der Glasmalerei entsprechend meinem 1:10 Entwurf.  Schließlich beginnt der Ausführungsprozess mit Blaupause des Kartons, Glaszuschnitt, eventuell Bemalung mit Schwarzlot und Brennvorgang. Mit unterschiedlich breiten Bleiruten wird das Fenster dann verbleit, verlötet und gekittet. Das sind viele Arbeitsschritte, bis ein Fenster montiert werden kann.

H.R.
Wer waren Ihre künstlerischen Vorbilder und wie war der Beginn Ihrer Karriere als Glaskünstlerin? Welches war Ihr erster Auftrag?
I.R.
Meine künstlerischen Vorbilder waren zunächst die farbprächtigen Fenster in den gotischen Kathedralen, die ich auf Reisen, besonders in Frankreich, erkunden konnte. Ich habe mich an Wettbewerben beteiligt und auch erste Preise gewonnen. Da hatte ich das Glück, dass es über den Entwurf dann auch zur Ausführung kam. Meine ersten Glasfenster im Kirchenraum waren allerdings monochrom, also weiße ornamentale Fenster für eine romanische Krypta, für die Bergkirche Sankt Stephanus in Kornelimünster bei Aachen.

A.B.
Bei unserem Treffen in der Villa Godesberg nahmen Sie uns ja schon ein bisschen mit in den kreativen Prozess der Entstehung eines Glasfensters vom Entwurf bis zur prachtvollen Ansicht eines fertigen Kirchenfensters. Welcher Schritt ist der für Sie schwierigste Teil bei der Fertigstellung dieses Kunstwerks?
I.R.
Je nach Auftrag sieht die Problematik anders aus. Manchmal bin ich unsicher, was die Farbintensität angeht. Da muss man dann Probescheiben anfertigen lassen, um es im Raum selbst zu sehen und zu testen. Das war so bei der Taufkapelle von Sankt Gereon in Köln. Dort befindet sich der einzige gotische komplette Freskenzyklus von Köln. Da hieß es Rücksicht nehmen auf die Wandmalereien, und die Fenster mussten eine gewisse Grisaille-Wirkung erzielen. Bei den Chorfenstern der Stadtkirche in Grevenbroich wusste ich nicht, ob die Fenster „stehen“, also nicht überblendet werden, da benötigten wir dann auch Musterfelder. Es lohnt sich sehr, sich langsam Schritt für Schritt der Raumwirkung zu nähern.

H.R.
Arbeiten Sie parallel an mehreren Aufträgen und wie lange dauert normalerweise ein Arbeitsgang vom Karton bis zur Einsetzung des Glasbildes?
I.R.

Ja, das kommt vor, dass mehrere Projekte in Arbeit sind. Aber leider ist die gesamte Auftragslage schlechter geworden, was ich sehr bedaure. Es hängt mit dem Schwinden der kirchlichen Bindung zusammen. Die Kirchen werden leerer, die Kunst wird ausschließlich von Spenden bezahlt. Der Zeitaufwand vom Karton bis zum fertigen Glasbild hängt vom Entwurf ab und auch davon, ob in der Glasmalerei die entsprechenden Glastafeln vorrätig sind. Wenn die passende Glastafel nicht vorhanden ist, muss sie erst geblasen werden und das dauert dann bis zu vier Wochen.

H.R.
Welche Glasschöpfungen bewundern Sie am meisten – Chartres – Sainte Chapelle in Paris – oder die Arbeiten zeitgenössischer Künstler wie Georg Meistermann, Wilhelm Buschulte oder Klaus Iserlohe?
I.R.

Alles eben zu seiner Zeit. Die Bildsprache ändert sich. Wenn ein Kunstwerk Ausstrahlung hat und Originalität und auch die Technik überzeugt, dann kann ich mich begeistern, ob es ein Kunstwerk des Mittelalters ist oder der Moderne.

Arbeiten am Werkkarton, Foto Privat
St. Severin, Bad -Godesberg Mehlem, Wikipedia
St. Severin, Bad-Godesberg Mehlem, Wikipedia

A.B.
Durch Ihren Vater Leo Hugot, Architekt, Stadtkonservator und Dombaumeister in Aachen, kamen Sie früh mit religiöser Kunst und künstlerischer Ausgestaltung von Kirchen in Berührung. Zuerst jedoch studierten Sie Tanz- und Musikpädagogik, dann Kunstgeschichte in Köln. Woher kam der Sinneswandel?
I.R.

Ich meine, dass es kein Sinneswandel war. Denn als junger Mensch tastet man sich an die Berufswelt heran. Ich prüfte, welche Talente ich habe und wo ich sie einsetzen kann. Da spielen zusätzlich viele Fügungen eine Rolle. Meine Ausbildungen haben alle mit Formgebung und Gestaltungskraft zu tun. Der Mensch hat fünf Sinne. Und die Begabung zur Gestaltung – wie auch immer geartet – gehört zu den darstellenden Künsten dazu. Die künstlerischen Gesetze zu Proportionen wie dem Goldenem Schnitt sind unveränderbar. Es herrschen gleiche Formgesetze. Der Anspruch für Harmonie und Schönheit besteht für alles künstlerische Schaffen in jedweder Ausdrucksform und in allen Zeitepochen.

H.R.
Sie entwerfen auch Priestergewänder. So haben Sie auch für Dr. Wolfgang Picken, den verstorbenen Dechanten des Bonner Münsters, gearbeitet. Brachte er viele eigene Vorschläge und Wünsche ein?
I.R.
Ja, das habe ich sehr geschätzt. Wir haben gemeinsam das Thema für ein Gewand erarbeitet. Das rote pfingstliche Gewand entstand während seiner Zeit in Bad Godesberg und er wählte es auch für sein Foto des Abschiedsplakats im Februar 2019 aus. Das Gewand nahm er mit ins Bonner Münster. Leider starb er, bevor ein violettes Gewand für ihn zur Ausführung kam. Die Mappe mit Stoffproben und Entwürfen musste ich mir leider wieder abholen, weil er viel zu früh von uns ging. Er hatte sich ein Gewand gewünscht für die Fasten- und Adventszeit. Es sollte den Weg der Vorbereitung von Sonntag zu Sonntag auf das Hochfest von Weihnachten bzw. von Ostern in einem Crescendo darstellen. Ich bin Dechant Dr. Wolfgang Picken auch dankbar für seine Vermittlung an junge Priester, die ein Primizgewand bei mir in Auftrag gaben.

H.R.
Ihre Stilsprache besteht aus hellen, klaren Farben in geometrischen Feldern, akzentuiert durch ein Netz aus Bleiruten, die die Farbflächen einrahmen. Hat sich Ihre Bildsprache im Laufe der Jahrzehnte verändert?
I.R.
Über vier Jahrzehnte habe ich in der Glaskunst gearbeitet. Sicherlich habe ich den Stil im Laufe der Jahre etwas verändert, früher kleinteiliger und sehr farbintensiv, heute eher großflächig mit abgestuften Farben. Aber es gibt immer auch eine Kontinuität in der persönlichen Handschrift.

A.B.
Malen oder zeichnen Sie auch privat in Ihrer Freizeit?  Welche Motive bevorzugen Sie in diesem Fall und schmücken diese auch privat Ihre Wände?
I.R.
Besonders gerne male ich Aquarelle in freier Natur. In den Ferien entstehen die Bilder in der Bretagne am Meer, wo schöne Lichtverhältnisse herrschen. Ja, zuhause hängen viele Bilder an den Wänden, natürlich auch eigene.

A.B.
Welche Frage, die wir nicht stellten, würden Sie gerne beantworten?
I.R.
Die Frage, die noch zu stellen wäre: Hat die Glasmalerei, die als Kunst-Handwerk über 1000 Jahre alt ist, eine Zukunft? Im vergangenen Jahr hat die UNESCO die Glashütte Lamberts in Waldsassen, die unser „Material“, die Flach-Glastafeln, wie eh und je mundgeblasen herstellt, wegen der traditionellen Methode des Glasblasens als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt und ausgezeichnet. Das macht uns Glaskünstler zuversichtlich, dass es weiter Glaskunst geben wird.

Liebe Frau Rothweiler, wir danken Ihnen für Ihre ausführlichen Antworten.
Angela Biller, Dr.Hildegard Reinhardt

Fotos: A. Bi. in der Villa Godesberg – Boutiquehotel Dreesen Fotos: Privat I.R.