Talente Jutta Roth

Jutta Roth -Bilder und Worte- und interessante Vorfahren

Frage (Hildegard Reinhardt): Frau Roth, wie und wann kamen Sie  dazu, sich künstlerisch zu betätigen? Wurden Sie angeregt durch Ihr Elternhaus, den Kunstunterricht oder Ausstellungsbesuche? Mit welchen Themen oder Motiven beschäftigten Sie sich zu Beginn Ihrer künstlerischen Arbeit? Hat sich das im Laufe der Jahre verändert?

Antwort (Jutta Roth): In erster Linie bin ich durch mein Elternhaus geprägt worden. Ich entstamme einer Künstlerfamilie und die vielen Bilder und Portraits meiner Vorfahren,  die an den Wänden hingen, hatten mich schon als Kind verzaubert. Mein Urgroßvater Wilhelm Roth war Dekorationsmaler. Ich habe mich autodidaktisch fortbewegt und später begleitend Kunstkurse u.a. an der Freien Akademie der bildenden Künste Essen, arte Fact in Bonn etc. besucht. Die Themen waren anfangs surreal (Ölmalerei), gegenständlich und immer wieder im Mittelpunkt der Mensch. Im Laufe der Jahre habe ich mich vom Gegenständlichen zu expressionistischen Formen (Acrylmischtechniken) und experimenteller abstrakter Kunst weiterbewegt. In den Jahren 2012 – 2014 hatte ich den Fokus auf starke Frauenportraits gelegt. Die Gesichter, nur auf den ersten Blick perfekt und vollkommen, zeigen bei genauerem Hinsehen auch Brüche, Makel, Kratz- und Lebensspuren. Die Suche nach der menschlichen Seele, tiefgründig und rätselhaft, hat mich immer begleitet.

HR: Haben Sie sich nach Ihrem Studium und neben Ihrer Berufsarbeit bewusst für die künstlerische Arbeit entschieden oder war es zu Beginn ein Experiment, da Sie schreiben, Sie hätten sich als Autodidaktin in Seminaren und Workshops weitergebildet?

JR: Meine künstlerische Arbeit ist mit den Jahren neben meiner Berufsarbeit stetig gewachsen. Der Drang, sich künstlerisch auszudrücken, brauchte Ventile.

HR: Arbeiten Sie parallel an Porträts, Akten und Monotypien des Informel, oder geschieht dies zeitversetzt?

JR: Ich arbeite zumeist zeitversetzt. Jedes Thema hat seine Zeit für sich und möchte ausgelebt werden. Mit Monotypien bin ich erst vor zwei Jahren durch einen Kursus meiner Künstlerfreundin Irmgard Hofmann (Galerie 62) in Berührung gekommen.

HR: Suchen Sie sich die Modelle für Ihre weiblichen Akte im Bekanntenkreis, oder wenden sich die Modelle an Sie, um porträtiert zu werden? Arbeiten Sie nach Fotografien?

JR: Um den Menschen darstellen zu können, benötigt man natürlich Studien u.a. der Proportionen. Aktzeichnen mit eingeladenen Aktmodellen konnte ich gemeinsam mit anderen Künstlern (u.a. im Atelier von Hetty Liebelt und im Atelier von Irmgard Hofmann) praktizieren. Aufträge zu Portraits erhalte ich oftmals nicht vom Modell, sondern von deren Freunden oder Familien in Form eines Überraschungsgeschenks. Ich lasse mir dann viele unterschiedliche Fotos geben und mir die Charaktereigenschaften schildern, denn ich möchte nicht nur ein Abbild, sondern das Wesen zeigen. Meine freien Portraits die mich im Gesichtsausdruck stark ansprechen, finde ich aus Illustrierten.

HR: Wie organisieren Sie Ihre künstlerische Arbeit? Betreiben Sie sie hauptberuflich oder in Ihrer freien Zeit? Wie viele Sitzungen benötigen in etwa für ein Porträt?

JR: Da ich seit Jahren im Teilzeit-Modus arbeite, kann ich mir freie Zeit und Muße für die Kunst nehmen. Bei Sitzungen muss ich mich zuerst in das Gesicht und den Charakter durch langes Betrachten oder Gespräche gewöhnen. Nach unterschiedlichen Skizzen beginnt die Arbeit an der Leinwand alleine mit diversen Techniken frei, spontan und sehr schnell. Das Bild entwickelt während des Prozesses eine Eigendynamik und der schwierigste Punkt – wie oftmals im Leben – ist das Loslassen.

HR: Welches sind Ihre künstlerischen Vorbilder? Welche Ausstellungen oder Arbeiten haben Sie am stärksten beeindruckt?

JR: Ich erinnere mich noch gut an meine erste besuchte Ausstellung im Alter von sieben Jahren im Rathaus Beuel zu Ehren meines 1945 verstorbenen Großonkels Ernst Moritz Roth (Priester, Expressionist – und Widerständler wie mein Großvater, der Politiker Joseph Roth). Diese farbintensiven und tiefgründigen Bilder haben mich sehr beindruckt. Ab da bis heute habe ich unzählige Kunstausstellungen besucht. Sehr beeindruckend waren u.a. die mit meinem „Liebling“ Frida Kahlo und deren mexikanischer Ehemann Diego Rivera und den Zeitgenossen Orozco und Siqueiros. Ihre beindruckende Biographie von Hayden Herrera hatte ich bereits in 80er Jahren entdeckt und spürte sofort eine Seelenverwandtschaft, zumal sie vor ihrem Unfall – wie auch ich – an Polio erkrankt war. Spektakulär auch die Ausstellungen in den 90ern mit Plastiken von Auguste Rodin, Camille Claudel und Aktfotographien von Robert Mapplethorpe; Egon Schiele; das Theater-Museum Dalí in Figueres. In den 20ern u.a. Ausstellungen mit Ferdinand Hodler, Gabriele Münter, Xenia Hausner.

Lyrik Jutta Roth

HR: Die Buchillustration bildet eine weitere Säule Ihrer Arbeit. Treten Verlage an Sie heran mit dem Wunsch, bestimmte Text zu illustrieren oder dürfen Sie Vorschläge machen?

JR: Angebote und Vermittlung zu Buchillustrationen erhielt ich von der Schriftstellerin und Verlegerin Frau Dr. Sonja Klug. Bei den Aufträgen besprachen wir die Passagen, die illustriert werden sollten oder könnten; dabei hatte ich sehr viel Freiheit, diese eigenständig umzusetzen.

HR: Neben Ihrer Tätigkeit als bildende Künstlerin verfassen Sie auch Lyrik. Was inspiriert Sie zu den Texten – Meditation, Begegnung mit Menschen, Naturerlebnisse?

JR: Gedichte haben mich schon immer fasziniert, insbesondere surreale, expressionistische und dadaistische! Um nur einige Lyriker zu nennen: Paul Celan, Nelly Sachs, Pablo Neruda, Rainer Maria Rilke, Hugo Ball, Tristan Tzara und Antonin Artaud. Auch Lyrik bedarf der Übung und der Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte. Erste Lesungen hatte ich mit Hilla Jablonsky, Max Osterritter (Kabarett). Nachhaltig hat meinen Schreibstil meine „Kölner Zeit“ beeinflusst. Gemeinsam mit Künstlern aus unterschiedlichen Genres erarbeiteten wir uns über einen Zeitraum von einem halben Jahr eine dadaistisch anmutende Performance. Gespräche und Diskussionen mit vielen Kunstfreunden u.a. aus meiner „Siegburger Zeit“  (Ro Willaschek) als auch in Bonn (Galerie Pentagramm) in Bad Godesberg (Gudrun Hillmann) waren und sind bereichernd. Meine Inspirationen sind: Innere Zerrissenheit, Wut, Aufschrei, Liebe, Politik und Naturerlebnisse. Es entstehen explodierende Wortfetzen und Sprachgebilde, die ich im Tagebuch niederschreibe und später nochmals bearbeite. Mit den Gedichten möchte ich die Seele ankratzen, irritieren und zum Fühlen und Denken anreizen. Auch in diesem Bereich liebe ich Experimente, Improvisationen, wie das gemeinsame Projekt 8211 mit  Bettina Ahlborn-Braun (Alt- und Tenorsaxophon). Wir hatten uns eine experimentelle Jazz-Lyrik Aufführung erarbeitet. Es gibt auch eine Demo-CD, die wir im Tonstudio aufgenommen hatten.

HR: Dem Bad Godesberger Kunstverein sind Sie als Mitglied besonders verbunden. Sie haben in den vergangenen Jahren dort „Zweier“-Ausstellungen gehabt und sich an Gruppenpräsentationen beteiligt. Gab es dazu Kataloge?

JR: Neben den Gruppenausstellungen hatte ich im Bad Godesberger Kunstverein gemeinsame „Zweier“-Ausstellungen mit Künstlerinnen aus dem Bereich der Plastik bzw. Holz mit interessanten Zwiesprachen. Kataloge gibt es dazu meinerseits nicht. Einzelausstellungen hatte ich außerhalb des Kunstvereins.

Frage (Angela Biller): Für die erste digitale Ausstellung  „Metropolis“, die Gemälde nur für den Augenblick an bekannten und unbekannten Orten  fotografisch in Szene setzen sollte, bat ich den Vorsitzenden des Kunstvereins,  Herrn Jürgen Laue, um seine Unterstützung,  aus dem Kreis des Kunstvereins Künstler  für dieses Projekt zu gewinnen, die ohne genaue Kenntnis der Ausstellungsvorgaben ihre Werke für diesen Moment zur Verfügung stellen sollten. Auch Sie, liebe Frau Roth, erklärten sich neugierig dazu bereit. Wie war Ihnen zu Mute, Ihre „entführten Bilder“, wie Sie es nannten, für zwei Stunden in fremde Hände zu geben?

JR: Abenteuer! Ich fand es total spannend! Loslassen, nicht wissen, was passiert. Vertrauen haben und sich auf Ungewisses einlassen. Kunst hat auch etwas mit Spielen zu tun!

HR: Wie hat man sich Ihre Ateliergemeinschaft mit Miriam Pütsch vorzustellen? Behandeln Sie ähnliche Themen? Beurteilen Sie die Arbeiten der jeweils anderen kritisch zum besseren Gelingen? Oder geben Sie vielleicht Unterricht oder Kurse?

JR: Schüler*innen hatte ich mehrere. Miriam Pütsch war vor der Coronazeit meine letzte Schülerin. Eine talentierte, sehr junge Frau. 2019 nach einem halben Jahr des gemeinsamen Arbeitens, hatten wir uns zur Atelierbesichtigung entschlossen. Miriam ist heute 15 Jahre alt. Der Unterricht gestaltete sich neben Übungen auch um allgemeine soziale Wahrnehmung, die kritische Auseinandersetzung der anderen und der eigenen Arbeiten, Erfahrungen weitergeben, Dinge überhaupt in Frage zu stellen und sich auszutauschen. Ich lerne gern von jungen Menschen und empfand die gemeinsame Arbeit – auch an Bildern – sehr konstruktiv.

HR: Sie sind zwar in Bonn geboren, leben aber in Bad Godesberg. Was schätzen Sie daran besonders? Welches sind Ihre Lieblingsplätze in Bad Godesberg?

JR: Ich bin in Bonn geboren, in Bad Godesberg aufgewachsen, lebe auch dort und bin mit dem österreichischen Zithersolisten Herbert Kositz verheiratet. Ich schätze die Offenheit der Menschen und erinnere mich gerne an das damalige bunte Bild der Botschaftsangehörigen in Bad Godesberg. Schade, dass die Innenstadt „ausstirbt“ und ein einseitiges Bild vermittelt. Meine Lieblingsplätze: die Rheinpromenade, diverse Biergärten und Restaurants in der Nähe und das Villenviertel mit ihren wundervollen Gebäuden aus der Gründerzeit.

HR: Wie gehen Sie mit den Corona-Einschränkungen um? Welches sind Ihre Zukunftshoffnungen und –perspektiven?

JR: Da ich eine feste Arbeitsstelle habe, sehe ich mich da als privilegiert an und habe auch keine Existenzängste.  Ich vermisse aber den Austausch mit Künstlerkolleg*innen und Menschen. Auch wenn es über soziale Medien möglich ist, ersetzt es nicht den direkten Kontakt. Kunst ist immer Kommunikation, visuell, berührend, authentisch und haptisch. Das kann eine digitale Ausstellung nicht ersetzen. Das Virus hat uns und die Welt verändert, welche Auswirkungen dies haben wird, zeigt die Zukunft. Die Innenstädte ändern sich, unser Zusammensein, welche philosophischen Antworten ergeben sich? Gewiss, die Stille, das Innehalten kann eine Katharsis sein und dann, wenn die Situation es wieder zulässt, explodiert die Kunst!

HR:  Haben Sie neue Ausstellungspläne für die Zeit nach Corona?

JR:  Meine nächste geplante Ausstellung im Kunstverein Bad Godesberg wird Ende November 2021 (s. www.kunstverein-bad-godesberg.de) gemeinsam mit den Künstlerinnen Susanna Heraucourt und Heike Kallenberg stattfinden.

Atelierbesuch

Jutta Roth Nachtrag „Hier malt Jutta Roth“ – das Hinweisschild neben der Eingangstür mit einem Foto der attraktiven Gastgeberin gibt uns die Gewissheit, dass wir am Ziel sind: Herzlich werden wir von der Malerin empfangen und anschließend durch die großräumige Wohnung mit den zahlreichen Gemälden und Zeichnungen der Künstlerin und ihrer  Freunde geführt.

Auf dem „Informationstisch“ hat Jutta Roth verschiedene Alben und Presseartikel ausgebreitet – ein Album mit Reproduktionen ihrer künstlerischen Anfänge – surrealistische Landschaften, unverkennbar inspiriert von Salvador Dali, wie sie selber gesteht. Unmittelbar daneben zeigt sie uns einen  kleinen Katalog eindrucksvoller expressionistischer Holzschnitte, die ihr Großonkel Ernst Moritz Roth, katholischer Priester und Nazi-Gegner, geschaffen hat. Auf dem „Arbeitstisch“ nebenan liegen Monotypien im Stil des Informel, ihrer jüngsten Werkgruppe, an der arbeitet, seit sie infolge einer Fußverletzung zwei Monate an den Rollstuhl gefesselt, ihr Aktionsradius demzufolge stark reduziert war.

Unmittelbar vor dem ersten Lockdown kehrte die Malerin von einer Karibik-Reise zurück, die zugleich eine „Arbeitsreise“ für sie war. Sie brachte Bildnisse der dortigen Bewohner mit, die sich stolz als Modelle zur Verfügung stellten. Seit 2012 widmet sich Jutta Roth der Kategorie Frauenporträt. Dabei sitzen ihr die Frauen Modell oder sie imaginiert sie als ihre „Fantasiegeschöpfe“. In dem Raum werden mehrere Beispiele ergänzt durch weibliche Aktzeichnungen.  Die Nachbildung einer Italienerin des bekannten Christian-Schad-Gemäldes  „Maria und Annunziata vom Hafen“, 1923, belegt, wie stark sie von dem neusachlichen Figurenmaler affiziert ist.   Jutta Roths Begeisterung für die mexikanische Malerin Frida Kahlo und deren Weggefährtin, die Fotografin Tina Modotti, könnte uns anstecken, wären wir nicht auch schon lange Bewunderinnen dieser beiden Künstlerinnen, die seit den 1980er Jahren kometengleich am Kunsthimmel erstrahlen.

Im Bad Godesberger Kunstverein hat Jutta Roth vor einigen Jahren einen vielbesuchten Vortrag über ihr großes Idol gehalten. Eine eindrucksvolle in Tusche gearbeitetes Porträt von Frida Kahlo ist einer der Glanzpunkte der Porträtkunst von Jutta Roth. Ebenfalls in der Technik ist in den 1990er Jahren eine Dreiergruppe erotischer Zeichnungen  zum Thema Yin und Yang entstanden. Wie eng die Beziehung zu den Kollegen des Bad Godesberger Kunstvereins ist, belegen drei Zeichnungen von Freunden zu Gedichten von Jutta Roth.

Die Anhänglichkeit an die Familie wird dokumentiert durch das Bildnis der großbürgerlichen Urgroßmutter Margarethe Roth, Gattin eines Kölner Kirchen- und Dekorationsmalers. In aufwändiger Aufmachung mit elegantem Federhut präsentiert sich die Dame in typischem Stil der Kaiserzeit. Die Reproduktion eines Gemäldes  des offenbar sehr geschätzten surrealistischen Malers Arcimboldo, drei abstrakte Arbeiten von Max Ackermann und eine Gebirgslandschaft der Voralberger Heimat des Ehemanns runden das Roth’sche Privatmuseum ab.  

Urgroßmutter Margarethe Roth und Jutta Roth

Großonkel Ernst Moritz Roth

Tradition und Moderne- die Instagram Galerie von Jutta Roth-

Interview Dr. H. Reinhardt, Fotos A.Biller + J. Roth u.a. Instagramfotos