Peter Tutzauer – Künstler – Beobachter – Eklektiker
An einem schönen Sommermittag im August 2023 waren wir mit dem Bonner Maler Peter Tutzauer in seinem neuen Atelier in der Bad Godesberger Viktoria-Straße verabredet. Die Fassade des flachen, langgestreckten Gebäudes – eines ehemals türkischen Supermarkts – trägt in Versalien unübersehbar die Aufschrift VIKTORIA 68. Der Hausherr, nonchalant ein wenig im 68er Outfit, empfing uns ungemein liebenswürdig und führte uns in sein weiträumiges Atelier. Er wolle „auf seine älteren Tage noch einmal neu anfangen“, erklärte er anlässlich des Einzugs in sein viertes Atelier.
Sofort waren wir fasziniert von der kunterbunten Mischung aus Büro und künstlerischem Bereich. Die PC-Anlage neben der Staffelei mit den Malutensilien, Büchern, Fotos, Damenbüsten aus Gips, einer kleinen Buddha-Figur, einem Hirschkopf mit vergoldetem Geweih, Porzellanetagèren seiner Frau Jutta Tutzauer neben Gemälden aus seinen verschiedenen Schaffensphasen – realistischen, surrealistischen, figurativen und abstrakten Landschaften, Stillleben, Figurenbildern und Porträts. Last but not least schmückt ein historisches Sofa als Ehrenplatz das Atelier – ein Geschenk der Mutter Tutzauer an ihren Sohn.
P. Tutzauer, an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland erfolgreich beteiligt, bekannt durch mehrfache Kataloge und Publikationen, dekoriert mit Auszeichnungen und Preisen, lebenslang ein passionierter Reisender und Weltenbummler verbringt jedoch in den Sommermonaten mit Vorliebe Arbeitsurlaube auf Elba.
Die Beobachtung der Natur war seit Kindertagen seine liebste Beschäftigung. Verblüfft war er von dem Selbstschutz einer Kellerassel, die sich bei Gefahr zu einer Kugel zusammenrollt. Schon früh hielt er seine Eindrücke zeichnerisch und malend fest und erkannte die Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz, bevor diese zu weltbewegenden Themen wurden. Seine Begeisterung für die Schöpfungen der Natur ging eines Tages so weit, dass er von einer Fernreise das Skelett eines Wals mitbrachte, für dessen Transport nach Deutschland er allein zwei Sitzplätze im Flieger reservieren musste. Dieses beeindruckende Naturdenkmal erregt noch heute die staunende Aufmerksamkeit sämtlicher Atelierbesucher. In den Kontext der Diskussionen über Umweltzerstörung gehört auch P. Tutzauers spektakuläre Coca-Cola-Serie. Zerbeult, zerquetscht liegen die Dosen achtlos verstreut in der Natur. Aus einem Schneckenhaus quillt gar eine solche Schreckensdose heraus.
Seine Wut über die Missachtung musisch-künstlerischer Aktivitäten durch die brutale, zerstörerische Umwelt verlieh P. Tutzauer vor Jahren Ausdruck, als er einen Bauarbeiter dazu überredete, mit einer Autobahn-Walze einen Geigenkasten zu zerdrücken. Helles Entsetzen bei allen, denen er diese Geschichte erzählte. Gemäß seinem Lebens- und Arbeitsmotto „Zeitereignisse sind unerwartet vielfältig – Künstler sollten dies auch sein“ hat P. Tutzauer ein reiches, vielfacettiertes Œuvre ) geschaffen. Möbelkreationen, Kunst am Bau gestaltete er neben seinen Reisebildern, den Regenwald- und Poolbildern. Eine eigene Erfindung sind jedoch die Blotchings (Klecksbilder), bei denen er eine gipsartige, gefärbte Masse in Schichten pastos auf die Leinwand aufträgt, wobei unerwartete, reliefartige abstrakte Gebilde entstehen, die er gelegentlich noch mit Goldfarbe übertüncht.
Täglich kommt P.Tutzauer in sein Atelier, im Sommer arbeitet er am liebsten in seinem Garten inmitten der exotischen Blumen und Pflanzen, die er von seinen Weltreisen mitgebracht hat, welche die dort einzeln postierten Skulpturen umwuchern. Dieses Ambiente ist Realität gewordener Ausdruck seiner Lebensdevise: „Für mich ist Kunst Liebe, aber auch gleichzeitig ein Drang.“ Hildegard Reinhardt
H.R.
Wie gelangt ein 1949 in Neuburg an der Donau geborener bayrischer Bub nach Bad Godesberg?
P.T.
1953 hat es mich ins Rheinland verschlagen, mein Vater nahm eine Stelle als Architekt an der amerikanischen Botschaft an und so wurde Bad Godesberg für mich und meine Familie bis heute zur Heimat.
H.R.
Wie kamen Sie dazu, von 1975-1980 gerade bei Prof. Karl Marx und Daniel Spoerri an der Kölner Werkschule Freie Malerei zu studieren?
P.T.
Ich bewarb mich 1970 an der Kunstwerkschule zu Köln, wurde angenommen und landete in der Klasse von Prof. Karl Marx, dessen Meisterschüler ich wurde. Marx mochte meine Arbeit und brachte mich mit der Kunsthistorikerin Christa Murken – Altrogge zusammen, die sich zu dieser Zeit hauptsächlich mit Kunst um das Produkt Coca Cola befasste.
H.R.
Ihre kontinuierlichen Ausstellungserfolge ermöglichten Ihnen Reisen rund um den Globus. Schon früh entdeckten Sie die Umweltzerstörung als beherrschendes Lebensthema.
P.T.
Zur gleichen Zeit schuf ich eine größere Gemäldeserie um das Objekt Coca Cola Dose, fliegend, zerknautscht usw. So entstand eine schöne Verbindung. Ich wurde in Kunstbüchern veröffentlicht, es gab später Ausstellungen über Coca Cola Kunst in London, Colombo, Kunsthalle Osnabrück und Panama City. Im dortigen Museum für Gegenwartskunst ist bis heute ein Bild von mir.
H.R.
Gewöhnlich verarbeiten Sie Reiseimpressionen, Porträts nach Modellen, Reflexionen zur Umweltzerstörung, Experimente mit neuen Techniken. Die Frau in Burka mit Geige- ein reales Motiv?
P.T.
Es gab immer wieder Bilder, die besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben: Die Frau in Burka mit Geige. Auslöser zu dieser Arbeit war ein Deutschlandfunk – Radiobericht über die dreiste sich selbst ernannte Scharia-Polizei. Zu Wort kam eine junge Türkin, die angehalten wurde, „ihr Rock sei zu kurz und was sie mit der unnützen Geige, die sie mit sich führte, wolle. Ihre Aufgaben seien der Haushalt und die Kindererziehung.” Ich war sehr erzürnt und malte dann das besagte Bild. In einer folgenden Ausstellung lernte ich eine Religionslehrerin kennen, sie unterrichtete Christen und Muslime gleichzeitig. Sie bat mich, das Bild in ihrem Unterricht verwenden zu dürfen. Einer der Schülerkommentare kam von einer jungen Muslimin: „Sehnsucht nach Kultur“.
A.B.
Besondere Faszination machte ein Bild für mich aus, ich fühlte mich mit Blicken durch den ganzen Raum verfolgt. Das weiße samtige Maul, die neugierigen Augen, die lässige Position vor einer floralen Stofftapete, wie hingegossen! Eine Kuh. Ein außergewöhnliches Motiv, lieber Herr Tutzauer, Ihr Lieblingstier oder die Auftragsarbeit eines Landwirts? Wie kam es zu dem Portrait?
P.T.
Hier war es ein Fernsehbeitrag über die Viehtransporte aus Europa in den Nahen Osten und Asien. Ein männliches Rind erreicht einen Endwert von 10€. Also werden diese Tiere als lebendes Billigfleisch auf grausamen Transportwegen in außereuropäische Länder exportiert. Im Nahen Osten z.B. werden sie grausam geschächtet. In Sibirien können sie unterwegs erfrieren. Ich bin wütend, das so etwas in unserem Europa passieren kann.
A.B.
Ein Bild in Ihrem Atelier zog unsere besondere Aufmerksamkeit auf sich. Außergewöhnlich plastisch und vieldeutig in der Aussage. Sie tauften es “der Dottersack des Echnaton.” Können Sie uns etwas zu der Entstehung bzw. Ihre Intention zu der Arbeit erzählen.
P.T.
“Der Dottersack des Echnaton“ entstand nach einer Malreise ins Abstrakte. Plötzlich drängte sich ein zufälliger Farbklecks in den Vordergrund mit der verblüffenden Ähnlichkeit der Büste des ägyptischen Pharao. Vom ägyptischen Altertum ohnehin begeistert, lenkte ich nun meine Malerei auf Echnatons Familie: Echnaton, Nofretete ( Frau und Schwester) und Tutenchamun Sohn. Eine berühmte Familie also. Leider sind Echnatons Bemühungen, den Monotheismus einzuführen, am Widerstand seines Volkes gescheitert und er fiel in Ungnade.
H.R.
Hatten Sie im Elternhaus, in der Schule erste Anregungen, sich mit Kunst zu beschäftigen?
P.T.
Definitiv mein Vater, der auch Architekt wurde, hat mich mit seinem künstlerischen Talent beeinflust. Da mein Vater seine künstlerische Laufbahn in der damaligen schwierigen Nachkriegszeit nicht verfolgen konnte, wurde er Architekt.
Sein Leben wurde entscheidend geprägt, weil er als 16jähriger Soldat in den Krieg ziehen musste, die Greueltaten als junger Mensch miterlebte, um dann nach der Kriegsgefangenschaft nach Hause zu kommen.
Ich erinnere mich gerne an die Kinobesuche, in die mein Vater mich mitnahm. Beeindruckt von den Walt Disney Produktionen, u.a. besonders “Die Wüste lebt”, wurde mein visuelles Auge geschult.
Interview Hildegard Reinhardt u. Angela Biller, Foto Titelbild “Corona” Iris Kick, Frau mit Geige P.Tutzauer, Atelierfotos A. Biller,