Thilo Beu nicht nur Theater
Thilo Beu arbeitet seit 1991 am Theater Bonn als Theaterfotograf. Seine Bilder sind das Erste, was das Publikum von den neuen Inszenierungen sieht – in der Zeitung, auf den Plakaten oder in den Programmheften. Daneben hat er auch eine Reihe eigener Projekte realisiert. Für seine Arbeit „Der Stand der Dinge“ erhielt er 1995 von der Stadt Bonn den Kunstpreis. Wie er zu seiner Berufung fand und wie sich seine Arbeit am Theater gestaltet, darüber sprach Rebecca Telöken vom Theaterblog Theatral mit ihm.
Telöken: Ich habe auf deiner Website gesehen, dass du kein Self-Made-Fotograf bist, sondern du hast Fotografie an der FH Dortmund studiert. Meine erste Frage bezieht sich auf dein Studium: Gab es dort jemanden, also einen Dozenten oder vielleicht auch Kommilitonen, die dich dazu inspiriert haben, ans Theater zu gehen oder wolltest du von Anfang an die Richtung Theaterfotografie einschlagen?
Beu: Dafür muss ich etwas ausholen. Es war so, dass ich nach dem Abi einfach noch nicht genau wusste, was ich machen sollte. Und dann kam ich über mehrere Umwege auf die Idee, Fotografie zu studieren, weil ich in meiner völligen Naivität gedacht habe, das ist ein vielfältiges Feld: Mal kann man Porträts machen, dann macht man was Schönes für den SPIEGEL, mal vielleicht ein Buch über den Amazonas und so weiter. Man muss sich nicht entscheiden. Doch als ich anfing zu studieren, wurde ich mit der beruflichen Wirklichkeit von Fotografen konfrontiert, die natürlich ganz anders aussah, als ich sie mir ausgemalt hatte. Da herrschte erst einmal große Ratlosigkeit. Doch ich hatte Kommilitonen, die einen Bezug zum Theater hatten. Ich selbst komme aus der Nähe von Freiburg und dort wurden unter der Leitung von Manfred Beilharz, der später auch Intendant in Bonn wurde, Theaterfestivals veranstaltet. Wir– ein Freund und ich – haben daraufhin die Kameras eingepackt und sind nach Freiburg runtergefahren, um uns vorzustellen und wir bekamen auch die Erlaubnis dort zu fotografieren. Das hat sehr viel Spaß gemacht und vor allem waren die Leute sehr begeistert von unseren Bildern, und es gab die Möglichkeit einer großen Ausstellung im Theater…. Und da hab‘ ich Blut geleckt. Das aber nur am Rande.
Telöken: Da gab es noch mehr?
Beu: Ja, ich hatte einen Professor, der war früher Theater-Fotograf in Hamburg. Er war der Assistent einer sehr, sehr legendären Theater-Fotografin und dann auch ein paar Jahre selbstständig am Schauspielhaus tätig. Dieser Prof hatte mir eigentlich mehr oder weniger davon abgeraten.
Und trotzdem habe ich es einfach gemacht, auch weil ich die Atmosphäre und die Leute am Theater „geil“ fand. Das hat Spaß gemacht. Ich habe positives Feedback bekommen und so weiter…. Und dann die Theater-Familie, die mich irgendwie gepackt hat.
Telöken: Das schließt gut an meine nächste Frage an: Was ist an der Theaterfotografie so anders? Was, würdest du sagen, ist das Besondere?
Beu: Theater unterscheidet sich grundsätzlich nicht so wahnsinnig viel von „Ich fotografiere eine Demo“ oder „Ich fotografiere auf einem Marktplatz“ oder Ähnliches. In all diesen Fällen bist du nicht derjenige, der eine Situation herstellt, der Einfluss nimmt. Du musst mit dem umgehen, was da ist – und darauf reagieren. Das ist das eine. Zum anderen ist es aber so – und da unterscheidet sich Theater halt dann doch von den genannten Beispielen, – dass Theater ja eine inszenierte Wirklichkeit ist. Theater ist dafür gemacht, damit du es dir unter ästhetischen Aspekten anschaust. Was halt die Demo, der Marktplatz oder das Fußballspiel nicht ist. Zudem ist der Moment im Theater im Zweifelsfall auch wiederholbar. Das heißt, ich kann mir das, was ich beim ersten Versuch, bei der ersten Probe nicht bekommen habe, beim nächsten Durchlauf holen.
Doch unterscheidet sich das Foto einer Inszenierung, dieser Bruchteil einer Sekunde natürlich vom Erleben eines Theaterabends. Damit besteht der Anspruch an das Bild, etwas zu verdichten und das Begeisternde der Inszenierung zu transportieren. Denn es geht vor allem darum, dass derjenige, der die Bilder sieht, angesprochen wird. Sie müssen Lust machen, sich das Stück anzusehen. Ich sehe mich da durchaus nicht in einer frei künstlerischen Situation, sondern in einer dienenden Funktion. Das heißt, ich muss der Intension der Inszenierung, dem Inhalt und der Ästhetik gerecht werden. Ich muss das Theaterstück „verkaufen“.
Telöken: Wenn du sagst, dass du das Stück „verkaufen“ musst, bereitest du dich dann schon im Vorhinein vor? Versuchst du, den Schlüsselmoment des Stückes einzufangen? Oder schaust du eher nach der Ästhetik?
Beu: Früher war es wirklich so, dass ich mich extrem gut vorbereitet habe. Ich habe vorher den Text gelesen und das Stück angesehen: eine Probe oder, wenn es irgendwie möglich war, einen kompletten Durchlauf. Dort habe ich mir dann teilweise Notizen gemacht: „Diese Szene kann man von links fotografieren, die muss man von rechts fotografieren“ etc. Ich habe aber festgestellt, dass ich, wenn ich zu viel weiß, nicht mehr wach bin. Ich werde zu sicher, zu ruhig. Mittlerweile ist es deshalb so, dass ich, bevor ich fotografieren muss, versuche, nur relativ kurz auf die Probe zu gehen, um zu gucken, wie es sich da anfühlt, um mal „Guten Tag“ zu sagen oder „Witterung aufzunehmen“. Ein Stück kann man ja sehr unterschiedlich inszenieren: Romeo und Julia z. B. kann auf dem Friedhof oder auf einer Kirmes spielen. Man kann es ganz existenziell in schwarzen Rollkragenpullover spielen und den Text rezitieren oder man macht daraus ein Riesenspektakel. Und dafür muss ich ein Gefühl kriegen. Ich muss nicht unbedingt die Story kennen, aber ich muss wissen, was für eine Atmosphäre herrscht.
Vielleicht als Beispiel: Wenn ich das erste Mal in Griechenland bin, dann kann ich bei der ersten bunten Tür oder bei der ersten weißen Häuserwand „Oh, wie toll“, „Oh, wie super“ und „Oh, wie schön“ denken und ein Foto davon machen. Nach fünf Minuten stelle ich fest, dass da wieder eine bunte Türe ist. Das heißt also, ich brauche etwas Zeit, um mitzukriegen, worum es eigentlich geht. Wenn ich überhaupt keine Ahnung habe, kann es durchaus passieren, dass ich erst einmal auf dem Holzweg bin. Beim Theater ist das nicht anders. Deswegen muss ich erst ein Gespür für das Stück bekommen. Und trotzdem darf ich nicht zu viel wissen, damit noch genug Adrenalin im Spiel ist, um die besonderen Momente einzufangen.
Telöken: Arbeitest du immer allein oder auch mit den Regisseurinnen und Regisseuren zusammen?
Beu: Natürlich gucken die Regisseure auf die Sachen drauf und sagen, was sie gut und spannend finden oder eben nicht. Das ist schon eine Art von Zusammenarbeit. Und es gibt auch durchaus Personen, die mich fordern und sagen, dass sie das alles nicht „so toll“ finden, weil sie eine andere Idee von Ihrer Inszenierung haben. Kritik gehört dazu, so wie die Akteure, die Ausstatter, …. grundsätzlich alle Beteiligten zusammenfinden müssen. Ich nehme das als Herausforderung an und sage, „Klasse!“ Dort, wo es schwierig wird, wo es nicht so offensichtlich ist, da dann etwas rauszuziehen und Dinge zu entdecken und Dinge zu schaffen, das ist das Reizvolle. Was mich reizt ist das, was mich zwingt, mich damit irgendwie auseinandersetzen zu müssen.
Telöken: Und wie sieht es bei deinen freien Arbeiten aus? Hast du da eine andere Idee von der Fotografie? Was interessiert dich bei diesen Arbeiten besonders?
Beu: Ich finde unsere Welt, in der wir leben, sehr spannend – wenn man mal genauer hinguckt. Ich liebe die Anekdoten, die ich erlebe, die kleinen Besonderheiten. Also mich zieht wenig nach Asien oder auf den höchsten Berg oder sonst was. Was mich interessiert sind die Dinge, wo man genauer hingucken muss, wo man etwas entdecken kann; also nicht das Wissen, sondern eher das Finden, das Entdecken. – Ein Beispiel: Stellen wir uns vor, ich würde durch Paris laufen, ohne den Eiffelturm bisher gesehen zu haben und laufe um die Ecke und stehe plötzlich vor ihm, dann bin ich überrascht. Der Anblick fasziniert mich. Das wäre nicht so, wenn ich mit dem Reiseführer in der Hand gezielt zum Eifelturm gelaufen wäre. Es ist zwar nicht dasselbe Adrenalin wie bei den Fotografien am Theater, aber es ist dieser faszinierende Moment. Diese Projekte, die ich da mache, suchen das Besondere und wollen es im Alltäglichen finden.
Telöken: In diesen Bildern besteht immer eine Mischung aus Ästhetik aber auch etwas Rätselhaftes, das spielt auch mit rein, oder?
Beu: Ja, das sind Momente, in denen man sowohl etwas versteht und zugleich dreimal hingucken muss. Die Bilder entfalten ihren ästhetischen Reiz in ihrer Verrätselung, sie sind merkwürdig, fremd, das fasziniert als erstes und irgendwann guckst du hin und erkennst plötzlich, was es tatsächlich ist. Das ist das Spannende
Theatral: Da kriegt man richtig Lust, sich gleich auf die Straße zu schlagen und nach diesen kleinen Besonderheiten zu suchen. Aber wir schlagen jetzt stattdessen noch einen Bogen zur aktuellen Corona-Lage. Es gab zuletzt viele digitale Theaterformate. Hatte das Auswirkungen auf deine Arbeit? Bzw. hat sie Auswirkungen auf die Fotografie?
Beu: Die Digitalisierung hat viele Menschen bestärkt, Foto- und Filmaufnahmen selbst zu erstellen. Diese Bereiche wurden früher hauptsächlich von Profis bespielt. Heutzutage hat jeder ein Handy, das „tolle Bilder macht“; dann noch ein, zwei Filter drüberlegen und schon ist es vermeintlich perfekt. Das Bewusstsein, dass es für ein gutes Bild mehr bedarf, dass man sich mit Fotografie beschäftigen Muss, dass man üben und lernen Muss – ähnlich wie beim Musizieren oder bei einem Handwerk – das könnte verloren gehen. Dieses Bewusstsein, das muss man meines Erachtens immer wieder schaffen.
Telöken: Ein Bewusstsein schaffen ist ein gutes Stichwort. Denn der neue Förderverein “Bad Godesberger Kultur & Stadt Scene” möchte auch das Bewusstsein dafür schärfen, dass Godesberg viele Potenziale hat, die oft übersehen werden. Meine letzte Frage an dich: Was erhoffst du dir von dieser neuen Bad Godesberger Initiative?
Beu: Ich finde grundsätzlich Initiativen, die sich für Godesberg einsetzen gut und unterstützenswert. Und ich finde auch, dass wir als Theater Bonn alle diese Ansätze unterstützen sollten; und ich als Fotograf des Theater Bonns sehe es auch als meine Aufgabe, allen potenziellen Multiplikatoren beizustehen. Ob das jetzt der Kinderchor ist oder die Statisterie ist; oder ob das die Opernfreunde sind oder die Theaterfreunde oder nun die neue Godesberger Kulturszene. Wenn wir uns gegenseitig unterstützen, ist das für alle eine „Win-win“-Situation. Auch ich möchte ein attraktives Godesberg und dafür bedarf es aller Kräfte.
Telöken: Vielen Dank für das spannende Interview!
Rebecca Telöken, Redaktionsleiterin des Blogs “Theatral” und unser Kuratoriumsmitglied , führte das Inrerview für die Bad Godesberger Kultur & Stadt Scene.
Fotografien Thilo Beu aus der Serie -Linz-Erleben- Mann-mit Hut- Stand-der Dinge